Alltag im Dorf
Die meisten
Einwohner der beschriebenen Zeit waren als Landwirte tätig, Handwerker hatten
zur Selbstversorgung auch etwas Vieh. Die bäuerliche Arbeit verteilte sich
ungleich über das Jahr. Spinnen und Weben, Wald- und Holzarbeit fanden hauptsächlich
im Winter statt. Die ,,eigentliche" Bauernarbeit konzentrierte sich auf
die Sommermonate.
Das
Landwirtschaftsjahr begann im Frühjahr mit dem „ in Ordnung bringen“ der
Feldflure; z.B. dem Ausheben der Hauptbachläufe, dem Abschleifen der
Maulwurfshügel, dem Leeren der „Puddelkaut“(Jauche) und dem Ausfahren des
Mistes. Während des Winters konnte dies schlecht gemacht werden, da die
eisenbeschlagenen Räder die Wege verfahren hätten, was von der Gemeinde
untersagt war. |
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Mistabfahren
mit dem Kastenwagen bei „Rückersch“ |
Nicht
alle Bauern besaßen Pferde, manche hatten Ochsen oder Fahrkühe. Pferde waren
zwar stets der Stolz des Bauern, geeigneter– weil kräftiger- waren aber oft die
Ochsen. Hierzu eine Begebenheit: Als die Dreschmaschine den Müllerpfad
hochgezogen werden musste, blieben die angespannten Pferde überlastet stehen.
Erst als der hinzu gerufene Christian Besier (Rückersch genannt) seinen Ochsen
vorspannte, bewegte sich die schwere Maschine wieder.
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Die
Bearbeitung der Ackerböden erfolgte im System der verbesserten
Dreifelderwirtschaft (ohne Brachflächen). Bei der ursprünglichen
Dreifelderwirtschaft pflanzte man wechselnd ein Feld mit Sommergetreide und
eines mit Wintergetreide, das restliche Drittel lag brach. Als Dünger diente Mist
oder Jauche. Bei der verbesserten Dreifelderwirtschaft wurden wechselnd
Getreide, Klee oder Hackfrüchte angepflanzt und die Brache möglichst
vermieden. Von diesem System konnte erst abgewichen werden, als Kunstdünger
zum Einsatz kam. Dieser ermöglichte die heutige Monokultur. |
Ackern am
Roten Berg |
Bevor man
anpflanzen oder ansähen konnte, mussten die Erdschollen mit Pflug, Egge oder Grubber zerkleinert werden. Mit „Hüh“ und „Hott“ zogen die Gespanne über die Felder um
nach mehrmaligem Eggen und ggf. Walzen das Saat- oder Pflanzgut
einzubringen. Nach dem Säen des Sommergetreides folgte das Bepflanzen der
Rüben- und Kartoffelfelder oder auch eines kleinen Kohlrabifeldes. Die
Futterrübe heißt in Bärstadt „Dickwurz“ oder „Rommel“. Zwischen und inmitten der
Rübenfelder pflanzte man Rot- und Weißkohl für den Eigenbedarf. Rüben und
Kartoffelfelder waren arbeitsintensiv. Während des Jahres müssen diese durch
Hacken vom Unkraut befreit werden, weshalb man sie auch Hackfrüchte nannte.
Bis Anfang
des 20. Jahrhunderts säte man von Hand mit Säkorb oder Sätuch. Die Sämaschine
vereinfachte dies wesentlich. Von einem Vorratskasten fielen die Körner über
Saatleitungen in die Erde. Vorab musste das Getreide gegen pflanzliche und
tierische Schädlinge gereinigt und gebeizt werden. Als Sommerfrucht kamen Hafer
und Gerste in Betracht, für die Winterfrucht Weizen und Roggen. Diese konnte,
da früher (Herbst) gesät, auch früher geerntet werden. Haferklee war
zweijährig, d.h.: nach einmaligen Säen konnte im ersten Jahr Hafer und im
zweiten Jahr Klee geerntet werden. Bevor der Klee geerntet wurde, mussten die
größeren Steine auf den Felder eingesammelt werden damit die Balkenmähwerke
nicht beschädigt wurden, dies war häufig Arbeit von alten Männern und Kindern.
Daraus entstand die nette und treffende Umschreibung „Bärstadt ist steinreich“.
Die
Tiere, die während des Winters im Stall standen, konnten im Frühjahr auf die
Weiden gebracht werden. In der Regel hatte der Bauer drei Kühe, ein Rind und
ein paar Schweine, alternativ wurden Schafe oder Ziegen gehalten. In der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es kaum eingezäunte Weideflächen.
Deshalb wurde während des Tages das Vieh gehütet, abends ging es zum Füttern
und Melken in den Stall zurück. Ein von der Gemeinde bezahlter Hirte sammelte
die Schweine des Ortes und trieb sie für eine Stunde in die eingezäunte
Schweinesuhle (Saupasch) an der Schützenstraße. Damit kein Schwein
verwechselt wurde, warteten auf dem Rückweg die Besitzer am Haus auf ihr
Tier. Bild
rechts : Erich Hofmann beim Melken |
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Zur
Viehzucht hatte Bärstadt die sogenannten Vatertiere, einen gemeindeeigenen
Bullen, einen Eber und einen Geißbock. Die Gemeinde entlohnte den Halter des
Gemeindebullen mit pachtfreien Wiesenflächen, zusätzlich erhielt er im Herbst von
dem Besitzer jedes gedeckten Rindes Getreide (Sprunghafer). Die sogenannten
„Gaasebauern“- also Nebenerwerbslandwirte- ersteigerten, falls sie nicht
genügend eigene Flächen hatten, gemeindeeigene Grasflächen oder auch Wege und
Wegeränder. In schlechten Jahren verwandt man auch Laub zur Einstreu im Stall
und hütete die Kühe im Wald.
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Im Sommer
war zunächst die Heuernte angesagt. Mit der Sense ging man möglichst früh
aufs Feld, da sich das Gras im feuchten Zustand besser mähen ließ. Nach Größe
des Bauernhofs wurde mit der Sense oder bereits mit einem vom Pferd gezogenen
Balkenmähwerk gearbeitet. Das Gras musste dann zum Trocknen regelmäßig
gewendet werden; dies erfolgte mit Heuschwader oder Reschen. Bei drohenden
Regen wurde das Heu auf „Kocken“ geschichtet, um es später zur Trocknung
wieder auszulegen. |
In feuchten
Wiesen setzte man Gras zum Trocknen auf einen Heubock. Dieser war dreibeinig
und hatte eine Schenkellänge von ca. 3 x 3 Meter. Im Pyramideninneren wurde
lose aufgeschichtet, zum besseren Trocknen. Wagen für Wagen brachte man es dann
mit Pferde- oder Kuhgespannen in die Scheune. Hierbei half manchmal die ganze
Verwandtschaft, die zum Beispiel bei Familie Schäfer (siehe Bild) aus
Dickschied kam. Dickschied lag klimatisch besser und hatte die Heuernte schon beendet.
Auch die Kinder hatten ihre Pflichten und mussten Mutter und Vater in Haus,
Garten und Feld zur Hand gehen.
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Auf dem
Foto links sieht man Marie Hofmann beim binden einer Garbe. Rechts auf dem
Bild stellen Johanette Höhn und Philipp Kaiser die Garben zu einem Kasten
(Heinrich Höhn im Hintergrund). |
Nach der
Heuernte erfolgte die Getreideernte. Das Getreide wurde geschnitten und zu
Getreidegarben gebunden. 10 Garben bildeten einen sogenannten „Kasten“. Hierbei
bildeten neun Garben einen Kreis, auf deren Mitte die umgedrehte zehnte Garbe
als Hut (Regenschutz) saß. Nach der Trocknung auf dem Feld fuhr man die Kasten
mit dem Leiterwagen ab. Hierzu wurde extra eine Plane auf den Wagenboden
gelegt, damit möglichst wenig Getreide verloren ging. Zuhause angekommen wurde
für die Säfrucht ein wenig Frucht gedroschen und gesäubert. Nahezu jeder
Landwirt hatte eine handbetriebene „Windmühle“, mit deren Hilfe das Getreide
von Spreu, Halmresten und Schalen befreit wurde. Die übrige Frucht drosch man
mit einer Dreschmaschine. Anfangs kam hierzu der Lohndrescher Bierod aus
Dotzheim mit seinem Lanz Traktor zum jeweiligen Landwirt auf den Hof. Je nach
Hof- und Durchfahrtsgröße war dies immer ein sehr aufwändiges Rangieren. Der
Traktor sorgte mit langen Riemen und Übersetzungen für den Antrieb der
Dreschmaschine. Die Helfer bestückten die Maschine. Um unabhängig zu sein,
beschlossen
die Bärstadter
Bauern den Kauf einer eigenen Dreschmaschine durch die neu gegründete
Dreschgesellschaft. Der letzte Verwalter der Dreschgesellschaft war der
„Kadde-Heine“ (Heinrich Höhn). Neben dem Verwalter war
auch immer der Maschinenführer und die entsprechende Anzahl Helfer notwendig.
Die strombetriebene Dreschmaschine wurde ab 1949 in der Dreschhalle
untergestellt. Sie stand auf dem Gelände des ehemaligen Schulhofs am
Tiergarten. Nach dem Umzug vom unteren Schulhof am Tiergarten in die
Schieferstraße steht sie heute im Bärstadter Steinbruch. Zur Reinigung der
Getreidekörner gab es außerdem eine Reinigungsmaschine der
Raiffeisengenossenschaft. Hier konnte gleichzeitig das Getreide gereinigt und
gebeizt werden. |
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Ehemalige Dreschhalle am Bärstadter Steinbruch |
Als es noch
keine Dreschmaschine gab, wurde das Getreide folgendermaßen gedroschen:
Man legte
die Garben in der Tenne kreisförmig mit den Ähren zueinander auf ein großes
Tuch. 3-4 Personen schwangen im Takt den Dreschflegel und schlugen die Körner
aus den Ähren. Nach dem Entkörnen blieb ein Gemenge aus Körnern, Spreu und
Unkrautsamen zurück. Mit großen Sieben wurde dieses Gemisch vorgereinigt und
danach mit Schaufeln gegen den Wind geworfen. Dies war eine sehr staubige und
harte Arbeit. Nicht umsonst gab es den Ausspruch: „Er futtert wie ein
Scheunendrescher“.
Im 18.
Jahrhundert kamen die ersten handbetriebenen Windmaschinen auf den Markt. Ein
Flügelrad erzeugte einen Luftstrom, der die leichten Spreu- und Staubteilchen
von den schweren Getreidekörnern trennte. Über eine Schütte fielen nach Gewicht
sortiert die Getreidekörner zu Boden.
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Lina und
Philipp Kaiser beim Mähen mit der Sense (ca. 1920er Jahre) |
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Familie
Schäfer beim Mähen mit einem pferdegezogenen Balkenmäher |
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Robert
Höhn mit vollbeladenen Leiterwagen In der
Hauptstraße, damals Ortsstraße |
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Transport
der sogenannten Windmaschine |
Wenige, wie
z.B. unser Opa Philipp Kaiser, droschen etwas Roggenstroh von Hand zu
Heft-Stroh. So blieb der Halm länger und konnte zum Festbinden von Weinreben
genutzt werden. Dieses Heftstroh tauschte er im Rheingau gegen Wein.
Das
Roggenstroh war übrigens lange Zeit die gängige Dacheindeckung auf dem Lande.
Ein Teil
des Getreides kam gereinigt zur Stifts- oder Kerbermühle, der Rest wurde
geschrotet an die Tiere verfüttert. Die abgelieferte Kornmenge hielt der Müller
fest. Der Bäcker wurde während des Jahres vom Müller mit Mehl beliefert, hierzu
schrieb er dem jeweiligen Landwirt das Mehl unter Abzug des Mahllohns gut. Der Bäcker hielt im
Brotbuch des Landwirts die Menge an Mehl fest. Somit kam es zu einem
bargeldlosen Warenverkehr. Beim Brotkauf schrieb der Bäcker die entsprechende
Mehlmenge ab und der Landwirt musste lediglich einen Backlohn zahlen.
Im
Spätsommer erfolgte die Obsternte. Das Obst der gemeindeeigenen Bäume konnte
ersteigert werden. Der Ortsdiener Heinrich Diem gab dies durch Ausschellen
bekannt. Obst und Gemüse mussten, wenn es nicht gleich verzehrt wurde, für die
Winterzeit konserviert werden. Dies geschah durch Trocknen im Schatten, Dörren
in der Sonne, Einsalzen, Einpökeln und Einsäuern in Essigwasser. Zum Einkochen
benutzte man Einkochtöpfe mit einem Thermometer. Die Einmachgläser oder Blechgefäße
wurden mit einem Gummiring und Deckel verschlossen. Durch die Hitzeeinwirkung
entstand Dampfdruck und mit Abkühlen ein Vakuum im Einmachgefäß. Hefekeime
starben bei einer kontrollierten Temperatur ab 70 Grad. Dieses kombinierte
Verfahren sicherte eine lange Haltbarkeit bei einfacher
Anwendung.
Darüber
hinaus mussten für heutige Verhältnisse große Mengen an Früchten zu Marmelade
verarbeitet
werden. Dies geschah meist im Verbund mit Nachbarn und Verwandtschaft. Die
Früchte rührte man unter ständigem Feuer in einem großen Kessel. Das Arbeiten
mit diesem war sparsamer als viele kleine Feuer, außerdem verteilte sich die
Last auf mehreren Schultern. Die fertige Marmelade füllte man in steinerne
Töpfe und verschloss sie mit einer Cellophanhaut mittels Wurstkordel. Nach dem
Erkalten dichtete diese das Gefäß ab.
Auch die
geerntete Menge an Kohlköpfen war nicht zu unterschätzen - für eine Familie
wurde cirka ein Leiterwagen Weißkohl geerntet! Gehobelt und mit Salz
geschichtet gärte der Kohl in einem großen Holzfass. Nach Belieben gab man
etwas Wacholder oder Kümmel hinzu. Der mit Steinen beschwerte Deckel verschloss
das Fass. Damals waren das Sauer- und Rotkraut während der Winterzeit wichtige Vitamin C- Quellen. Neben dem Kohl gab es natürlich
auch noch Kohlrabi, Karotten, Erbsen, Gurken und Bohnen sowie Rhabarber aus dem
Garten. Diese Gärten waren aufgrund der baulichen Situation am Dorfrand; heute
sind sie zusammenhängend, noch erkennbar an dem Müllerpfad.
Wichtig war
die Apfelernte; sie brachte den beliebten Apfelsaft und - wein.
Die gemeindeeigene Kelter stand im Gemeindehäuschen an der Kirche und presste
aus den verkleinerten Äpfeln den Saft.
Mengenmäßig
weniger aber auch sehr beliebt waren die Birnen, Pflaumen, Mirabellen und
Kirschen. Frisch geerntet wurde mit diesen der Obstkuchen belegt.
Strauchfrüchte wie Himbeeren, Brombeeren, Johannis- und Stachelbeeren konnten
zu Saft, Kompott oder Gelee verarbeitet werden.
Ab 1738
wurde die Kartoffel im großen Stil in Preußen angebaut und entwickelte sich
später als das Hauptnahrungsmittel in Deutschland. Im Herbst wurden die
Kartoffeln mit einem Pflug oder Kartoffelroder ausgehoben und bereits auf dem
Feld nach Speise-, Setz- und Futterkartoffeln in Körbe sortiert. In Jutesäcken
abgefüllt fuhr man sie nach Hause in den Kartoffelkeller. Bei der
Kartoffelernte wurde auf dem Feld stets Frühstücks- oder Mittagspause gemacht.
Das gedörrte Kartoffelkraut wurde zu Haufen zusammengetragen und verbrannt. Im
Feuer gegarte Kartoffeln waren eine Delikatesse.
Die
Speisekartoffeln konnten z.B. nach Schlangenbad verkauft werden. Durch den
dortigen Kurbetrieb bestand immer
Nachfrage an Nahrungsmitteln. Jedoch war öfters die Zahlungsmoral nicht die
Beste. Oft hieß es dann: „Ei mer mache es im Sommer“, was heißen sollte, die
Kartoffeln werden erst im Sommer bezahlt, wenn Geld durch die Kurgäste
eingenommen war.
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Kartoffelernte
Familie Turn |
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Kartoffelernte
Familie Kaiser mit Soldaten |
Die
Futterrübenernte war reine Handarbeit. Die Rübe wurde aus dem Boden gezogen,
leicht geschüttelt und die Blätter abgeschnitten. Anschließend kamen sie in die
sogenannte Rommelkaut, in der man sie über den Winter mit Stroh und Erde
abdeckte. Die Blätter verfütterte man zeitnah, Reste wurden einfach
untergeackert. Die zu verfütternden Rüben kamen von der Rommelwäsche am damaligen Löschteich in der
Schützenstraße oder der Walluf zum anschließenden Zerkleinern in die
handbetriebene Rommelmühle im Stall.
Auf
dem Land war man im Gegensatz zu heute im hohen Maße Selbstversorger. Im Herbst konnte mit dem Einsetzen
der kalten Jahreszeit die Hausschlachtung durchgeführt werden. Hierbei wurde
ein Schwein geschlachtet. Das töten erfolgte anfänglich mit einem Axthieb,
später mit einem Schussapparat. - Hierzu eine Anekdote: Philipp Kaiser sollte
das Schlachten erlernen. Jedoch klappte das Töten des Schweins nicht gut.
Nachdem er zweimal nur ein Stück des Ohres mit der Axt abgeschlagen hatte, sah
man von der Ausbildung ab. Nach dem Töten des Schweins wurde das Blut an der
Halsschlagader ausgelassen, in einer Schüssel gefangen und für die spätere
Blutwurst gerührt. In einer Holzmohle konnten die Borsten mit heißem Wasser
abgeschabt werden. Aufgehängt an den Beinen erfolgte das Zerlegen. Der
Fleischbeschauer hatte die inneren Organe auf Trichinen zu untersuchen. Die
Därme reinigte man mit Salzwasser für die spätere Wurstabfüllung und zerlegte
das Fleisch. Diese kochte im großen Wasserkessel zur späteren Wurstherstellung.
Zur Haltbarmachung brühte man die Wurst im Kessel, hieraus entstand durch Fett
und geplatzte Würste die „Worschtsupp“. Wurst und die beliebte Worschtsupp
verteilte man im Ort. Durch Räuchern mit Buche- Sägemehl wurde der gesalzene
Schinken in der Räucherkammer haltbar gemacht. Nach der getaner Arbeit bekamen
der Metzger und seine Helfer zum Aufwärmen einen Schnaps. Am Abend folgte ein
kleines Schlachtfest für Familie und Verwandten.
Mit dem
Einsetzen des Schneefalls waren alle Arbeiten auf den Feldern beendet, vorbei
die Hektik der Erntezeit, Zeit für liegengebliebene Aufgaben des Sommers.
Kartoffel- und Fruchtsäcke waren zu flicken,
Rechen zu reparieren oder ein Gabelstiel einzumachen. Ganz abgesehen von
den alltäglichen Flick - und Näharbeiten widmeten sich die Frauen der Handarbeit
oder trafen sich in der Spinnstube. Trotz der vielen Arbeit hatten die
Landwirte etwas wofür sie heutige Arbeiter beneiden. Sie arbeiteten zu Hause im
Kreise der Familie, ein Vorgesetzter war ihnen unbekannt und die Entlohnung
konnten sie beeinflussen.
Wer Vieh
oder Hausrat kaufen wollte, besuchte im Herbst den Hochheimer Markt. Hier gab
es alles, was des Herz begehrte. Man tauschte sich
über neuste Erkenntnisse in der Viehhaltung aus oder bewunderte die
landwirtschaftlichen Geräte und Maschinen.
Während des
gesamten Jahres konnten Tiere gekauft oder verkauft werden. Viehhändler kamen
nach Bärstadt, offerierten oder kauften Vieh. Montags kam stets der Viehhändler
mit Ferkeln. Die gekauften Ferkel wurden nach dem angestrebten Gewicht
gefüttert und anschließend wieder verkauft. Brauchte man Geld für eine
Anschaffung oder war der Stall zu voll, bot man auch Tiere zum Verkauf an. Dies
geschah durch Austausch im Ort oder Nachfrage eines Viehhändlers. Weniger groß
- aber auch bekannt - war der jährliche Markt an der Kerb in der Nähe des
heutigen Hausener Sportplatzes. Bei dem einfachen Leben auf dem Land gab es
nicht, was nicht wiederverwendet werden konnte. Eine Müllabfuhr war deshalb
unnötig, es gab nämlich nur zwei Arten der Entsorgung- entweder der Mist oder
der Ofen…! Erst in den 40er Jahren entstand der Schuttplatz im ehemaligen
Steinbruch am Friedhof.
Förster
Klinkert arbeitete von 1912 bis 1953 für die Gemeinde Bärstadt und Hausen. Für
den preußischen Beamten zahlte der Staat ein Grundgehalt. Zusätzlich hatte die
Gemeinde Bärstadt den sogenannten Beförsterungsbetrag zu zahlen. Für jedes Kind
war außerdem ein Zuschlag zu entrichten. Mit der Festanstellung begann 1914 der
Bau des Forsthauses am Wolfsborn. Bereits 3 Tage nach der Hochzeit im gleichen
Jahr musste er in den Krieg einrücken. Mit Ende des 1. Weltkriegs kam er 1918
heil zur Familie zurück. Seine Dienstgänge im Wald erledigte er anfangs mit
einem Fahrrad, ab 1930 mit einem qualmenden DKW, wie der Kerbespruch vermerkte.
Für die Pflege des Waldes war er verantwortlich, die Hege des Wildes unterlag
den damaligen Jagdpächtern Dr. Mohr/ Dr. Pfeiffer aus Schlangenbad bzw. Bad
Schwalbach. Ersterer war durch die Herstellung der OMS- Gruben zu bescheidenem
Reichtum gekommen. Wildschäden meldete man bei Förster Klinkert, dieser sorgte
für die Regulierung durch den Jagdpächter.
Der
Holzverkauf war für den Gemeindehaushalt eine ganz wichtige Einnahmequelle.
Förster Klinkert hatte hierzu den Hauplan erstellt, aus dem hervorging, wo und
für welchen Zweck das Holz zu schlagen war. Stammholz wie Fichte, Buche und
Eiche wurde an Sägewerke und Holzhändler veräußert. Die Gemeinde entlohnte die
Bauern für das Fällen und Schleifen der ca. 10-20 Meter langen Stämme aus dem
Wald. Diese schwere und gefährliche Arbeit erledigten die Landwirte gemeinsam. Einmal
am Tag trafen sich die Bauern beim Post- Philipp (Philipp Kaiser) in der Küche
und beratschlagten das Vorgehen am nächsten Tag. Mit 6 Pferden und einem Wagen
brach man in den Wald auf. Dabei war auch das Essen für den Tag, denn die
Arbeit dauerte lange. Oft kam man erst bei Einbruch der Dunkelheit nach Hause.
Im Wald wurde mit der Axt die Fällrichtung vorgeben. Die sogenannte Drummsäge
brachte den Baum endgültig zu Fall. Laut krachend stürzte der Baum in die
vorgegebene Richtung. Noch im Wald schälte man die Fichten- und Lärchenstämme
und zog sie je nach Durchmesser mit 2-3 Pferden an den nächsten befestigten
Weg. Hier holte sie der Käufer mit dem LKW ab. Das Kronenholz der Laubbäume
schnitt man mit der Bügelsäge zu ein Meter langen Stücken. Am Waldrand saßen
die einen Raummeter großen Brennholz-Stapel bis zur Versteigerung im Frühjahr.
Der Höchstbietende transportierte das Holz nach Hause, spaltete es und ließ es
weiter trocknen. Im Spätherbst/ Winter schnitt man es in handliche Stücke und
lagerte es im Holzstall oder Rundlagern. Das weniger hochwertige Holz wurde
z.B. Industrie- oder Faserholz zur Papierherstellung. An einem vom Förster
festgelegten Tag (vor dem Wintereinbruch) kamen die Leute im Wald zusammen, die
Leseholz zum Festpreis gekauft hatten. Gemeinsam sägte und hackte man dieses
Schwachholz und fuhr es nach Hause. Neuanplanzungen im Wald waren Aufgaben der
Frauen im Ort. An der „Hauser Baumschule“ säte man angehende Nadelbäume, um
damit Waldflächen aufzuforsten. Durch das Ausschellen im Ort erfuhr jeder
Haushalt, dass jeweils eine Frau pro Haushalt hierbei helfen musste. Für diese
Arbeiten gab es als geldfreie Entlohnung sogenanntes Deputatholz (Brennholz). Nach
dem zweiten Weltkrieg war zunächst das Tragen von Waffen untersagt. Die
notwendige Jagd mit Gewehr erfolgte deshalb durch amerikanische Offiziere im
Beisein von Förster Klinkert. Neben seinem Beruf hatte der dreifache Familienvater
als Zubrot 45 Bienenvölker, hin und wieder bildete er einen Jagdhund aus.
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Ehemaliges
Forsthaus am Wolfsborn |
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Förster
Klinkert mit amerikanischen Soldaten und Treibern nach erfolgreicher
Jagd |
Tages- und Wochenablauf
Der
Tagesablauf war immer recht gleich. Mit dem Weckruf der Gickel kam nach und
nach Leben ins Dorf. Zunächst melkte und füttern man die Tiere. Die von Hand
gemolkene Milch lief in emaillierte Eimer. Diese und die Milch des Vorabends
kamen in der nummerierten Milchkanne auf die Milchbank. Von hier erfolgte die
Abholung für die Molkerei Berz in Bad Schwalbach. Im Winter fror bei strengen
Temperaturen die Milch ein, im Sommer wurde sie manchmal sauer. Deshalb
lagerten bei warmen Temperaturen die Milchkannen bis zur Abholung im kalten
Wasser der Wassertröge und Brunnen. Nach den morgendlichen Arbeiten gab es ein
erstes Frühstück in der Küche. Diese war stets durch den Herdofen beheizt und
der zentrale Anlaufpunkt der Familie. (- Das Wohnzimmer, die sogenannte „gud
Stubb“, wurde nur für besondere Anlässe genutzt - überwiegend sonntags und für
Feiern-) Danach spannte der Landwirt Pferd oder Kühe an und ging aufs Feld. Mit
dabei war eine Blechkanne mit Kaffee und etwas Brot für ein zweites Frühstück.
Zuhause verarbeiteten die Frauen die restliche Milch zu Butter, Käse oder
Quark. Sparsamkeit, die Fähigkeit einteilen zu können und Fleiß waren schon
immer die herausragenden Qualitäten einer Bauersfrau. Ob Frühjahr, Sommer,
Herbst oder Winter - einer Bauersfrau ging die Arbeit nie aus. Freizeit stand
nur selten zur Verfügung. Um ihre Familie "übers Jahr zu bringen"
musste die Bäuerin sich an der Seite ihres Mannes auf dem Feld abplagen und
auch im Haushalt eine wahre Künstlerin sein - alle Nahrungsmittel kamen aus
eigener Herstellung!
Um 11 Uhr
signalisierten die Glocken der Kirchturmuhr dem Bauern, dass er sein Vieh
ausspannen musste, um zum Mittagessen um 12 Uhr Zuhause zu sein. Auf dem Weg
dorthin wurden das Pferd oder die Kühe an eine der Viehtränken geführt und
anschließend im Stall gefüttert. Nach dem warmen Mittagsessen ging es zurück
aufs Feld. Man tauschte sich auf den Weg mit einem Nachbarn aus oder musste
auch mal ein Hufeisen vom Schmidt- Josef erneuern lassen. Während der Bauer zur
Feldarbeit mit Kuh oder Pferd hinausfuhr, erledigte die Bäuerin die tägliche
Haus- und Gartenarbeit.
Alle vier
Wochen war großer Waschtag, eine gewaltige Arbeit. Die Wäsche wurde sortiert,
in einem Bottich eingeweicht und danach in einen befeuerten Kessel gekocht.
Eventuell verbliebene Verunreinigungen wurden anschließend auf dem
Rubbelbrett entfernt. Winters wurde sie in einem weiteren Kesselbad mit Sil
gebleicht, im Sommer bleichte die ausgelegte Wäsche unter Bewässern in der
Sonne. Die Buntwäsche reinigte die Frauen stets während der Woche. Bild
rechts: Marie Hofmann beim Wäscheaufhängen |
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Wer
telefonieren wollte, ging zum „Post-Philipp“ in die Hauptstraße 2. Dort hing im
Flur ein Telefon. Unter der Nummer „Schlangenbad 276“ konnte man auch angerufen
werden. Das „Fräulein von Amt“ stellte die Verbindung her. Die Post trug
„Rechnerch- Lina“ (Lina Kaiser) tagsüber aus. Nach 1930 wechselte die
Poststelle zu Jakob Besier, Josef Grebert, Johanna Besier und zuletzt an Wilma
Besier.
Bärstadt
besaß auch zwei Banken. Die Raiffeisenbank im Schlangenbader Weg wurde von
Heinrich Besier geleitet. Hauptsächlich diente diese den Spar- und
Darlehensgeschäften im landwirtschaftlichen Bereich. Eine Nebenstelle der
Nassauischen Sparkasse führte Philipp Kaiser bis ins Jahr 1957. Da es keine
festen Geschäftszeiten gab, klopfte man einfach an der Tür und fand Einlass.
Am
Samstagnachmittag wurde der Hof in Ordnung gebracht und die „Straß“ gekehrt -
hierbei läuteten die Glocken das Wochenende ein. Das Geschirr des Pferdes oder
der Kuh reinigte man und hängte es für die neue Woche auf.
Samstagabend
war Badetag. Auf dem Herd wurde Wasser erhitzt und in einer Zinkwanne
eingelassen. Hier wusch sich nacheinander die ganze Familie. Zunächst kamen die
Kinder in die Wanne - die anschließend ins Bett mussten -, dann mit neuem
Wasser die Erwachsenen.
Die
Arbeitswoche hatte 6 Arbeitstage und lediglich den Sonntag als Ruhetag.
Mindestens ein Familiemitglied besuchte Sonntagsmorgens die Kirche, dies war
ungeschriebenes Gesetz. Auf dem sogenannten „Kuhhandel“, der Empore in der
Kirche konnte man sich vor dem Gottesdienst leise mit den Nachbarn über
Alltägliches austauschen. Nachmittags machte man Besuche oder bekam welchen.
Frische Kräfte wurden gesammelt für die kommende Arbeitswoche. Man trug
sonntags den guten Anzug und wechselte nur zum Füttern und Melken die Kleidung.
Die Familie hatte keine Unmengen an Kleidung wie heute. In der Regel
beschränkte es sich auf einen großen Schrank im Elternschlafzimmer und die
Aussteuertruhe. Hier musste ziemlich alles Platz finden. Es gab Arbeitskleidung
für die Woche und einen guten Anzug für sonntags und besondere Anlässe. Neben
dem großen Ehebett standen die Nachtschränkchen mit dem emaillierten oder
glasierten Pisspott, falls man nachts nicht mehr raus aufs „Abe-Häusche“ konnte
oder wollte. Treffend dazu sagte eine Bärstadterin: Ich weis gar nicht, woher
wir das Klopapier genommen haben, früher hatte doch kaum einer eine Zeitung...!
Die Frauen
besaßen noch eine Waschkommode mit Spiegel, Wasserkrug und Waschschüssel,
welche zur Hygiene diente. In dieser Kommode fanden aber auch Bettwäsche,
Tischtücher, Unterwäsche und Strümpfe Platz. Zum Wärmen gab es bestenfalls einen
kleinen Beistellofen im Schlafzimmer, ansonsten musste eine kupferne oder
verzinkte Wärmflasche herhalten.
Das Dorf verfügte über die verschiedensten Handwerker und Läden:
Schmiede, Küfer und Schreiner, Schuster, eine Schneiderin, einen Friseur,
mehrere Gastwirtschaften, eine Gastwirtschaft mit Metzgerei,
Lebensmittelgeschäfte, Bäckereien, Spar- und Raiffeisenkasse sowie eine Post. Bild rechts: Philipp Thurn (Küfer) mit Familie |
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Die
Bezahlung erfolgte oft erst zum Jahresende, wenn durch den Verkauf von
Feldfrüchten oder Vieh etwas auf die Seite gelegt werden konnte. Das
„Anschreiben“ lassen während des Jahres war üblich. Für größere Anschaffungen
ging oder fuhr man in die Stadt. So gab es in Bad Schwalbach oder Wiesbaden
alles, was man nicht selbst erzeugen oder herstellen konnte. Bärstadt war durch
seine Lage und Verkehrsanbindung eher mit Bad Schwalbach verbunden, ganz im
Gegensatz zu Hausen. Hier wurde mehr Handel mit dem Rheingau, speziell Eltville
betrieben. Wenige wie der Bäcker, der Förster, der „Sanne Heine“ und später der
Pfarrer besaßen ein Fahrzeug. Ebenso
wenige hatten ein Radio; hier musste die „Mund zu Mund Propaganda“ herhalten.
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Wie erwähnt gab es eine imaginäre Dorfgrenze – das Unter- und
Oberdorf. Nach getaner Arbeit traf man sich zu einem Plausch an einer der
Milchbänke. Hier tauschte man die Neuigkeiten und Ereignisse des Tages aus.
Bänke befand sich am Haus Hauptstraße 5 und an der Linde. Etwas spöttisch hießen diese im Unterdorf
Landtag und im Oberdorf Kreistag, da dort viel debattiert wurde. |
Bärstadt besaß ab Ende der 30er Jahre einen Busanschluss nach
Wiesbaden. Der Bus stand zunächst über Nacht an der Linde. Nachdem er im
Winter aber immer mal einfror, entstand die Forderung nach einer Bushalle.
Provisorisch fand er Unterschlupf in der Scheune von Heusers in der
Hauptstraße 1. Mit gemeindeeigenem Holz und tatkräftiger Hilfe der Busnutzer
entstand 1947 eine Bushalle am höhergelegenen Wolfsborn. Hier konnte der Bus
auch mal anrollen, wenn er nicht ansprang. Der aus Dotzheim stammende
Busfahrer Pohl war ein recht leutseliger |
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Mensch und beliebt bei Alt und Jung. Kein Fest in den
umliegenden Orten wurde ausgelassen. Hierzu eine kleine Anekdote: Nach einer
längeren Feier in Bärstadt verspätete er sich am Morgen, da er noch sein
Gebiss finden musste. Zuhause hatte er ein paar Hasen; wenn ihm die Kinder
etwas Hasenfutter mitbrachten, gab es eine extra Busfahrt im Dorf. Der Bus
startete um 5 Uhr und brachte die Pendler nach Wiesbaden, zurück gings um 19
Uhr. Blieb er durch Schneeglätte liegen, wurde er von den Fahrgäste
angeschoben. Der Pendlerverkehr diente auch zum Transport allerlei
Materialien. Helmut Steinheimer konnte sich gut erinnern: „Ich hatte als
Installateur mal ein paar lange Eisenrohre zu transportieren- kein Problem
für den Busfahrer, alles fand Platz auf dem Dach“. |
Bei
der dörflichen Abgeschiedenheit, dem noch nicht ausgebauten Systems des
Versicherungswesens und bei dem Aufeinanderangewiesensein in vielen
landwirtschaftlichen Belangen war Nachbarschaftshilfe erforderlich. Das
Zusammengehörigkeitsgefühl der Verwandten, die sich gegenseitig besuchten und
Feste gemeinsam feierten war ebenfalls unabdingbar. Das enge Zusammenleben, der regelmäßige Umgang miteinander und das
gemeinsame Feiern führten dazu, dass man sich gegenseitig sehr genau kannte.
Kaum etwas blieb der Allgemeinheit verborgen. Vereine spielten im
gesellschaftlichen Leben eines Dorfes und für die Freizeitgestaltung der
Bewohner eine wichtige Rolle. Man fand sich beim Gesang- und Turnverein oder der
Feuerwehr wieder. Die Männer dominierten in dieser Gesellschaft, lediglich der
Gesangverein und die evangelische Frauenhilfe bot den Frauen eine Abwechslung.
Gegenüber der Vorkriegszeit entwickelte sich diese Seite des dörflichen Lebens
nach dem Kriege rückläufig. Die Gründe hierfür lagen unter anderem in dem
veränderten Freizeitverhalten und in der Unlust, feste Bindungen einzugehen und
Verpflichtungen auf sich zu nehmen. Die Gastwirtschaften des Ortes boten eine
weitere Abwechslung und Ablenkung. Denkt man heute an ein Gasthaus, verbindet
man es gleich mit einem Bierausschank. In den Zwischenkriegsjahren war jedoch
der Wein oder Schnapsgenuss nicht zu unterschätzen. Erwin Höhn berichtet, oft
haben sich die Männer einen Schnaps und ein Glas Wasser oder eben einen
Schoppen Wein bestellt, wobei der Schnaps das Günstigere war. Der Saalanbau bei
„Klauersch“, das Turnerheim (Gasthof zur Sonne), bot in den Wintertagen die
Möglichkeit, ein Theaterstück aufzuführen. Diese waren äußerst beliebt bei Jung
und Alt und selbst aus den Nachbarorten kamen Besucher. Manchmal wurde sogar
ein Theaterstück mehrfach gespielt. Die Kinder spielten, wenn es dazu Zeit gab,
auf der Straße; ein Kinderspielplatz war unbekannt.
Zur
Verbesserung der medizinischen und fürsorgerischen Bedingungen wurde 1922 auf
Betreiben der Kirche und mit Unterstützung der Gemeinde eine Gemeindeschwester
beschäftigt. Keine leichte Aufgabe, tagein, tagaus, klopfte es an der Tür,
während der Woche waren älterer Bürger zu betreuen, Wunden zu versorgen oder
eine Geburt bahnte sich an. Selbst nach dem Tod half die Gemeindeschwester bei
der Totenwäsche und Einkleidung, was durchaus nicht üblich ist. Mit der
Anstellung versuchte Bärstadt wohl einen permanenten Missstand ab zu helfen -
trotz hoher Einwohnerzahl (1930 = 402 Personen) fehlte es an einer Hebamme und
einem Arzt im Ort . Zunächst war die Gemeindeschwester (Julia?) und ab 1944
ihre Nachfolgerin Frau Reichow in privaten Zimmern bei Bärstadter Bürgern
untergebracht. Später zog Frau Reichow mit Ihrer Tochter in eine neue Wohnung
in der Schulstraße. Frau Annemarie Reichow- in Bärstadt nur Schwester Reichow
genannt- arbeitete 30 Jahre für die Bärstadter Bürger. Die Entlohnung der
Gemeinde war sehr gering, regelmäßig gab es deshalb zusätzlich Naturalien oder ein
kleines Handgeld der Familien. Dieser Umstand
änderte sich erst 1972 mit der Eingemeindung und mit einem tariflich
geregelten Gehalt, was natürlich für einen ausreichenden Rentenbezug zu spät
kam. Altersbedingt wurde Frau Reichow 1975 von Frau Irmtraud Treutler abgelöst.
Aufgrund ihrer fleißigen und freundlichen Art waren beide sehr beliebt. Zu
jeder Tag- und Nachtzeit wurde diese in Anspruch genommen. Durch eine fehlende
Vertretung mussten beide auch sehr lange auf Urlaub verzichten. Die Schwesternstation
überdauerte die Eingemeindung, fiel aber in 1993 den Sparzwängen der Gemeinde
Schlangenbad zum Opfer. Die gemeindliche Verpflichtung zur Gesundheitsfürsorge
wurde dann an die Diakonie Bad Schwalbach übertragen.
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Schwester Reichow (rechts) am Kemeler
Weg mit 3 Bärstadterinnen |
Einen
ähnlichen Ansatz zur Verbesserung der
Situation, speziell der Frauen im Ort war die Gründung der Frauenhilfe. Diese
wurde 1927 von Pfarrer Knodt als Vaterländischer Frauenverein gegründet. Der
Kerngedanke war die wechselseitige Unterstützung der Frauen bei familiären
Notsituationen. Nach dem Krieg wurde dieser Kreis als Frauenhilfe bis heute
weitergeführt, wobei diese heute dem geselligen Austausch dient. Der
Gesellschaftswandel hatte das damalige Ziel, die tatkräftige Unterstützung der
Frauen und ihrer Familien entbehrlich gemacht, da die sozialen
Sicherungssysteme der Nachkriegszeit griffen und die Mobilität ihr übriges tat.
Nach dem ersten Weltkrieg folgten die schweren Jahre der
Weimarer Republik. Die Entstehung der Weimarer Republik ist durch die
unmittelbaren Nachwirkungen des Ersten Weltkriegs geprägt, ihr Untergang
verbunden mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus. Der Einfluss der
Nationalsozialisten auf die Bevölkerung war je nach Personen- oder
Berufsgruppen und Region bzw. Religion unterschiedlich ausgeprägt. Tendenziell
waren die Wähler der NSDAP bei den Protestanten und den in der Landwirtschaft
Beschäftigten zu finden. Außerdem gewannen sie Stimmen bei steigenden
Arbeitslosenquoten und sinkender Wahlbeteiligung bei den letzten vier
Reichstagswahlen.
Die wirtschaftlichen und politischen
Verhältnisse der Städte waren nicht gleich zu setzen mit den Verhältnissen auf
dem Land. Häufig waren dort die Mitglieder des Gemeinderats parteilos. Die
Geschicke Bärstadts wurde bis 1933 durch den Gemeinderat gelenkt. Das Dorf wählte hierzu die 9
Gemeindevertreter in den Gemeinderat, die den Wahlvorschlag für die
Bürgermeisterkandidaten ab gaben. Der Gemeinderat wählte den Bürgermeister und
beschloss innerhalb des Aufgabenkreises der Gemeinde Angelegenheiten, die nicht
laufend anfallen und grundlegende Bedeutung haben oder erhebliche
Verpflichtungen für die Gemeinde erwarten lassen. Der Bürgermeister führt die
Beschlüsse des Gemeinderats aus, vertritt die Gemeinde nach außen, erlässt
dringende Anordnungen, erledigt unaufschiebbarer Geschäfte und die laufende
Geschäftsführung der Ortsverwaltung. Zur Seite standen dem Bürgermeister, der
Ortsdiener, der Gemeinderechner, der Standesbeamte und ggf. auch der Förster.
Die öffentliche Bekanntmachung behördlicher und gemeindlicher Anordnungen im
Dorf war die Aufgabe des Polizeidieners, auch Ortsdiener genannt. Dabei blieb
er bei seinen Rundgängen durch das Dorf in bestimmten Abständen stehen und
verschaffte sich mit dem Läuten der Ortschelle Gehör. Ein Polizeidiener hatte
sein Amt mitunter viele Jahrzehnte inne.
Die Wahl des Bürgersmeisters, die Anzahl der
Gemeindevertreter, der Wahlberechtigten bzw. ob die Wahl durch Direktwahl der
Bürger oder über die Gemeindevertreter erfolgt, sowie der Turnus wird bestimmt
durch die Gemeindeordnung bestimmt. Bärstadt lag 1919 im Volksstaat Hessen, ab 1933 im Gau
Hessen-Nassau. In dem von uns beschriebenen Zeitraum änderte sich die
Gemeindeordnung mehrmals, hatte jedoch bis 1935 mit gewissen Veränderungen
Bestand. Durch die neue Deutsche Gemeindeordnung (DGO) von 1935 wurde das
"Führerprinzip" gesetzlich verankert. Der Bürgermeister musste
Parteimann sein und leitete nun die Verwaltung in ausschließlicher
Verantwortung. Der (von der NS-Partei berufene) Gemeinderat hatte lediglich die
Aufgabe, den Bürgermeister zu beraten.
Bei der Bürgermeister- und Gemeinderatswahlen spielten
natürlich persönliche Beziehungen, Feindschaften und verwandtschaftliche
Bindungen eine wichtige Rolle. Hierzu ein Beispiel: Konrad Kaiser war von
1918-1929 Bürgermeister in Bärstadt. In dieser Funktion zeigte er den Diebstahl
von eisernen Grabkreuzen vom Kirchhof an. Der Angezeigte wohnte in Nähe des
Friedhofs und hatte die Grabkreuze an einen Alteisenhändler veräußert, deshalb
wurde er für kurze Zeit inhaftiert. Der Abgestrafte war hierüber natürlich
verärgert. Bei der Neuwahl des Bürgermeisters beeinflusste er die
Gemeindevertreter so: Als einer der
wenigen im Ort, hatte er die Brennrechte für Schnaps. Als nun
Gemeindevertreter Schnaps bei ihm kauften erinnerte er daran, dass der Gegenkandidat
viel vorteilhafter sei. Die Wahl entschied dann Adolf Karl Häuser für sich.
Dieser wurde jedoch bereits 1933 durch Johann Friedrich Besier abgelöst. Nach
dem Einmarsch der Amerikaner wurden alle politisch belasteten Bürgermeister
abgesetzt. Nun kam wieder Adolf Karl Häuser an die Macht, der das Amt bis 1956
bekleidete.
Ortsgruppenleiter war bis 1945 Jakob Besier (Beckersch Jakob).
Ortsgruppenleiter wurde in der Zeit des Nationalsozialismus der Vorsitzende
einer Ortsgruppe der NSDAP genannt.
Seine parteirechtliche Funktion entsprach eigentlich
derjenigen des Vorsitzenden einer heutigen Parteigliederung auf der Ebene einer
Kommune; faktisch kontrollierte jedoch der jeweilige Ortsgruppenleiter sogar
den Bürgermeister oder Oberbürgermeister und durfte sich ihm gegenüber unter
Missachtung von Recht und Gesetz Weisungsbefugnisse anmaßen. Dabei waren die
Zuständigkeiten zwischen der staatlichen Organisation und der Parteigliederung
keineswegs klar abgegrenzt. Die Funktionsträger – einerseits der Bürgermeister
und andererseits der Ortsgruppenleiter – verfolgten häufig unterschiedliche
Ziele und agierten teils miteinander, teils gegeneinander. Jakob Besier wurde unisono
von den Befragten als eifriger und verblendeter Parteifunktionär beschrieben.
Hierzu eine Schilderung: „Wer nicht schon von weitem deutlich die Hand hob und
mit „Heil Hitler“ grüßte, wurde angeschnauzt und zurecht gewiesen“, eine
Backpfeife wurde auch schon mal ausgeteilt. Als Postbeamter in Schlangenbad war
er sicherlich über die überregionalen Ereignisse besser informiert als die
dörfliche Bevölkerung. Als Beamten wurde im sicher der Parteieintritt
nahegelegt, Kollegen die dies nicht taten hatten berufliche Nachteile zu
fürchten. Seine Einstellung zur Partei änderte sich erst als sein Sohn in einer
Strafkompanie starb. Wer gesellschaftlich oder beruflich aufsteigen wollte
musste in der Partei sein.
Welchen
Einfluss nahm die Politik auf das sonstige Leben?
Wie
bereits beschrieben war seit dem 1. Dezember 1936 die Mitgliedschaft in der
Hitler-Jugend Pflicht. Das hieß, dass ab dieser Zeit die Mitgliedschaft für
alle 10- bis 18- jährigen obligatorisch war; alle wurden in der Hitler-Jugend
erfasst. Auch in Bärstadt gab es einen BDM (Bund deutscher Mädel) und die HJ
(Hitler Jugend), außerdem die JM (Jungmädel) das DJ (Deutsches Jungvolk). Ab
Juni 1935 musste jeder junge Mann eine sechsmonatige, dem Wehrdienst
vorgelagerte Arbeitspflicht, ableisten. Die Aufgaben im sogenannten
Reichsarbeitsdienst waren sehr vielfältig. Sie befassten sich vor dem Krieg vor
allem mit Forst- und Kultivierungs- sowie Straßenbau- oder
Entwässerungsaufgaben und Tätigkeiten in der Landwirtschaft. Ab 1938 mussten
die Frauen unter 25 ein Pflichtjahr in der Land- und Hauswirtschaft ableisten.
Dadurch sollte u. a. die fehlende Arbeitskraft der sich im Krieg befindlichen
Männer, kompensiert werden. Ausgenommen waren Frauen mit Kindern und Frauen,
die ohnehin in diesen Bereichen arbeiteten. Ohne den Nachweis über das
abgeleistete Pflichtjahr konnte keine Lehre oder anderweitige Ausbildung
begonnen werden.
Zum
Erntedankfest schmückten die Konfirmanden den Altar in der Kirche mit
Feldfrüchten, welches nach der Machtergreifung Hitlers besonders gefeiert
wurde. Hierzu gab es im Dorf einen
Umzug, ein Leiterwagen war mit einem strohgeflochtenem Hakenkreuz bestückt und
die Häuser mit Hakenkreuz-Fähnchen geschmückt. Es wurde immer wieder gesammelt,
wie zum Beispiel für das Winterhilfswerk. Bärstadt blieb im politischen Sinne
etwas verhaltener, nur so ist es zu erklären, das Hitler nach erst nach der
Machtergreifung 1933 zum Ehrenbürger erklärt wurde. Der Nachbarort Hausen
erklärte Hitler bereits 1932 zum Ehrenbürger. Was ihnen möglicherweise auch
nachträglich den Schimpfnamen „Hitlerschhausen“ einbrachte. Unterschlagen darf
man aber auch nicht, das die Bärstadter immer wieder als „Plänemächer“
(Planmacher) verschrien wurden. Mutmaßlich, weil man viele Pläne und Ideen
hatte, sie aber nicht umsetzte.
Generell
war die Kirche den Nazis ein Dorn im Auge. Eine Bärstadterin erinnert sich:
„Als eines Tages die Kirchgänger am benachbarten Gemeindehäuschen vorbei kamen,
sahsen dort ein paar Schlangenbader Nazis und grölten Nazilieder“. Für die
NSDAP gab es im Untertaunus eine breite Zustimmung, dies belegt z.B. das
Ergebnis der Reichstagswahl vom 05.03.1933. Hier errang die NSDAP rund 13.000
Stimmen von 21.000 abgegebenen Stimmen, bei einer Wahlbeteiligung von 89 %. Die
SPD erhielt als zweitstärkste Partei ca. 3000 Stimmen. Zu Übergriffen an Juden
konnte es in Bärstadt nicht kommen dar zu diesem Zeitpunkt keine in Bärstadt
gab. Natürlich wurden auch Wahlkampfveranstaltungen in einer der Wirtshäuser
abgehalten zu Saalschlachten oder andern Exessen kam es aber nicht. Die jungen
Leser erwarten an dieser Stelle vielleicht eine etwas konkretere Darstellung
der Ereignisse. Aufgrund unserer gesammelten Informationen muss man aber zum
Schluss kommen, dass Politik nur einen untergeordneten Stellenwert im Leben der
Bärstadter gespielt hat. Viele Bärstadter waren in der NSDAP, nach dem Krieg
war das aber kein Thema mehr, wer wollte dem anderen etwas vorhalten, der eine
war in der Reiter-SA, der andere in der NSKK und wieder ein anderer in der SS.
Die anstehenden Probleme der Nachkriegszeit waren einfach wichtiger als gegenseitige
Vorhaltungen und Erinnerungen an eine nicht eingetretene Hoffnung. Es musste
eine neue demokratische Ordnung errichtet werden. Bereits am 20. Januar 1946
fand die erste Kommunalwahl statt und Hans Wagner wurde als Landrat gewählt. Im
September 1947 kommen die Kirchturmglocken wieder zurück, allmählich kehrt das
Dorf wieder zum Alltagsgeschehen zurück. Auf gut hessisch würde man sagen. „Es
Lebbe geht weider“. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Schaffung des heutigen
Bundeslandes Hessen im Jahr 1945 wurden der Bürgermeister und die nunmehr zwei
Beigeordneten nicht mehr von der Bevölkerung direkt gewählt, sondern von der
Gemeindevertretung ernannt. Karl Heusser bleibt bis 1956 Bürgermeister.
Am
20. Juni 1948 kommt die Währungsreform und löst die Lebensmittel und
Bezugsscheine ab. Jede Person erhielt in
zwei Schritten ein „Kopfgeld“ von 40,- DM und einen Monat später 20,- DM bar
ausgezahlt. Verbindlichkeiten wurden mit einem Kurs 10 Reichsmark zu 1 DM
(10:1) umgestellt; Löhne und Mieten im Kurs 1:1; Bargeld und letztlich auch
Sparguthaben wurden zum Kurs 100 RM zu 6,50 DM umgetauscht. Die Zeit des Schrottelns
und Tauschens ist vorbei.