Alltag im Dorf

 

Die meisten Einwohner der beschriebenen Zeit waren als Landwirte tätig, Handwerker hatten zur Selbstversorgung auch etwas Vieh. Die bäuerliche Arbeit verteilte sich ungleich über das Jahr. Spinnen und Weben, Wald- und Holzarbeit fanden hauptsächlich im Winter statt. Die ,,eigentliche" Bauernarbeit konzentrierte sich auf die Sommermonate.

 

Das Landwirtschaftsjahr begann im Frühjahr mit dem „ in Ordnung bringen“ der Feldflure; z.B. dem Ausheben der Hauptbachläufe, dem Abschleifen der Maulwurfshügel, dem Leeren der „Puddelkaut“(Jauche) und dem Ausfahren des Mistes. Während des Winters konnte dies schlecht gemacht werden, da die eisenbeschlagenen Räder die Wege verfahren hätten, was von der Gemeinde untersagt war.

 

 

 

 

 

 

Mistabfahren mit dem Kastenwagen bei „Rückersch

 

Nicht alle Bauern besaßen Pferde, manche hatten Ochsen oder Fahrkühe. Pferde waren zwar stets der Stolz des Bauern, geeigneter– weil kräftiger- waren aber oft die Ochsen. Hierzu eine Begebenheit: Als die Dreschmaschine den Müllerpfad hochgezogen werden musste, blieben die angespannten Pferde überlastet stehen. Erst als der hinzu gerufene Christian Besier (Rückersch genannt) seinen Ochsen vorspannte, bewegte sich die schwere Maschine wieder.

 

 

Die Bearbeitung der Ackerböden erfolgte im System der verbesserten Dreifelderwirtschaft (ohne Brachflächen). Bei der ursprünglichen Dreifelderwirtschaft pflanzte man wechselnd ein Feld mit Sommergetreide und eines mit Wintergetreide, das restliche Drittel lag brach. Als Dünger diente Mist oder Jauche. Bei der verbesserten Dreifelderwirtschaft wurden wechselnd Getreide, Klee oder Hackfrüchte angepflanzt und die Brache möglichst vermieden. Von diesem System konnte erst abgewichen werden, als Kunstdünger zum Einsatz kam. Dieser ermöglichte die heutige Monokultur.

 

Ackern am Roten Berg

 

Bevor man anpflanzen oder ansähen konnte, mussten die Erdschollen mit Pflug,  Egge oder Grubber zerkleinert werden. Mit „Hüh“ und „Hott“ zogen die Gespanne über die Felder um nach mehrmaligem Eggen und ggf. Walzen das Saat- oder Pflanzgut einzubringen. Nach dem Säen des Sommergetreides folgte das Bepflanzen der Rüben- und Kartoffelfelder oder auch eines kleinen Kohlrabifeldes. Die Futterrübe heißt in Bärstadt „Dickwurz“ oder „Rommel“. Zwischen und inmitten der Rübenfelder pflanzte man Rot- und Weißkohl für den Eigenbedarf. Rüben und Kartoffelfelder waren arbeitsintensiv. Während des Jahres müssen diese durch Hacken vom Unkraut befreit werden, weshalb man sie auch Hackfrüchte nannte.

Bis Anfang des 20. Jahrhunderts säte man von Hand mit Säkorb oder Sätuch. Die Sämaschine vereinfachte dies wesentlich. Von einem Vorratskasten fielen die Körner über Saatleitungen in die Erde. Vorab musste das Getreide gegen pflanzliche und tierische Schädlinge gereinigt und gebeizt werden. Als Sommerfrucht kamen Hafer und Gerste in Betracht, für die Winterfrucht Weizen und Roggen. Diese konnte, da früher (Herbst) gesät, auch früher geerntet werden. Haferklee war zweijährig, d.h.: nach einmaligen Säen konnte im ersten Jahr Hafer und im zweiten Jahr Klee geerntet werden. Bevor der Klee geerntet wurde, mussten die größeren Steine auf den Felder eingesammelt werden damit die Balkenmähwerke nicht beschädigt wurden, dies war häufig Arbeit von alten Männern und Kindern. Daraus entstand die nette und treffende Umschreibung „Bärstadt ist steinreich“.

 

Die Tiere, die während des Winters im Stall standen, konnten im Frühjahr auf die Weiden gebracht werden. In der Regel hatte der Bauer drei Kühe, ein Rind und ein paar Schweine, alternativ wurden Schafe oder Ziegen gehalten. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es kaum eingezäunte Weideflächen. Deshalb wurde während des Tages das Vieh gehütet, abends ging es zum Füttern und Melken in den Stall zurück. Ein von der Gemeinde bezahlter Hirte sammelte die Schweine des Ortes und trieb sie für eine Stunde in die eingezäunte Schweinesuhle (Saupasch) an der Schützenstraße. Damit kein Schwein verwechselt wurde, warteten auf dem Rückweg die Besitzer am Haus auf ihr Tier.

 

Bild rechts : Erich Hofmann beim Melken

 

 

Zur Viehzucht hatte Bärstadt die sogenannten Vatertiere, einen gemeindeeigenen Bullen, einen Eber und einen Geißbock. Die Gemeinde entlohnte den Halter des Gemeindebullen mit pachtfreien Wiesenflächen, zusätzlich erhielt er im Herbst von dem Besitzer jedes gedeckten Rindes Getreide (Sprunghafer). Die sogenannten „Gaasebauern“- also Nebenerwerbslandwirte- ersteigerten, falls sie nicht genügend eigene Flächen hatten, gemeindeeigene Grasflächen oder auch Wege und Wegeränder. In schlechten Jahren verwandt man auch Laub zur Einstreu im Stall und hütete die Kühe im Wald.

 

 

Im Sommer war zunächst die Heuernte angesagt. Mit der Sense ging man möglichst früh aufs Feld, da sich das Gras im feuchten Zustand besser mähen ließ. Nach Größe des Bauernhofs wurde mit der Sense oder bereits mit einem vom Pferd gezogenen Balkenmähwerk gearbeitet. Das Gras musste dann zum Trocknen regelmäßig gewendet werden; dies erfolgte mit Heuschwader oder Reschen. Bei drohenden Regen wurde das Heu auf „Kocken“ geschichtet, um es später zur Trocknung wieder auszulegen.

In feuchten Wiesen setzte man Gras zum Trocknen auf einen Heubock. Dieser war dreibeinig und hatte eine Schenkellänge von ca. 3 x 3 Meter. Im Pyramideninneren wurde lose aufgeschichtet, zum besseren Trocknen. Wagen für Wagen brachte man es dann mit Pferde- oder Kuhgespannen in die Scheune. Hierbei half manchmal die ganze Verwandtschaft, die zum Beispiel bei Familie Schäfer (siehe Bild) aus Dickschied kam. Dickschied lag klimatisch besser und hatte die Heuernte schon beendet. Auch die Kinder hatten ihre Pflichten und mussten Mutter und Vater in Haus, Garten und Feld zur Hand gehen.

 

 

Auf dem Foto links sieht man Marie Hofmann beim binden einer Garbe. Rechts auf dem Bild stellen Johanette Höhn und Philipp Kaiser die Garben zu einem Kasten (Heinrich Höhn im Hintergrund).

Nach der Heuernte erfolgte die Getreideernte. Das Getreide wurde geschnitten und zu Getreidegarben gebunden. 10 Garben bildeten einen sogenannten „Kasten“. Hierbei bildeten neun Garben einen Kreis, auf deren Mitte die umgedrehte zehnte Garbe als Hut (Regenschutz) saß. Nach der Trocknung auf dem Feld fuhr man die Kasten mit dem Leiterwagen ab. Hierzu wurde extra eine Plane auf den Wagenboden gelegt, damit möglichst wenig Getreide verloren ging. Zuhause angekommen wurde für die Säfrucht ein wenig Frucht gedroschen und gesäubert. Nahezu jeder Landwirt hatte eine handbetriebene „Windmühle“, mit deren Hilfe das Getreide von Spreu, Halmresten und Schalen befreit wurde. Die übrige Frucht drosch man mit einer Dreschmaschine. Anfangs kam hierzu der Lohndrescher Bierod aus Dotzheim mit seinem Lanz Traktor zum jeweiligen Landwirt auf den Hof. Je nach Hof- und Durchfahrtsgröße war dies immer ein sehr aufwändiges Rangieren. Der Traktor sorgte mit langen Riemen und Übersetzungen für den Antrieb der Dreschmaschine. Die Helfer bestückten die Maschine. Um unabhängig zu sein, beschlossen

die Bärstadter Bauern den Kauf einer eigenen Dreschmaschine durch die neu gegründete Dreschgesellschaft. Der letzte Verwalter der Dreschgesellschaft war der „Kadde-Heine“ (Heinrich Höhn). Neben dem Verwalter war auch immer der Maschinenführer und die entsprechende Anzahl Helfer notwendig. Die strombetriebene Dreschmaschine wurde ab 1949 in der Dreschhalle untergestellt. Sie stand auf dem Gelände des ehemaligen Schulhofs am Tiergarten. Nach dem Umzug vom unteren Schulhof am Tiergarten in die Schieferstraße steht sie heute im Bärstadter Steinbruch. Zur Reinigung der Getreidekörner gab es außerdem eine Reinigungsmaschine der Raiffeisengenossenschaft. Hier konnte gleichzeitig das Getreide gereinigt und gebeizt werden.

 

 

 

Ehemalige Dreschhalle am Bärstadter Steinbruch

Als es noch keine Dreschmaschine gab, wurde das Getreide folgendermaßen gedroschen:

Man legte die Garben in der Tenne kreisförmig mit den Ähren zueinander auf ein großes Tuch. 3-4 Personen schwangen im Takt den Dreschflegel und schlugen die Körner aus den Ähren. Nach dem Entkörnen blieb ein Gemenge aus Körnern, Spreu und Unkrautsamen zurück. Mit großen Sieben wurde dieses Gemisch vorgereinigt und danach mit Schaufeln gegen den Wind geworfen. Dies war eine sehr staubige und harte Arbeit. Nicht umsonst gab es den Ausspruch: „Er futtert wie ein Scheunendrescher“.

Im 18. Jahrhundert kamen die ersten handbetriebenen Windmaschinen auf den Markt. Ein Flügelrad erzeugte einen Luftstrom, der die leichten Spreu- und Staubteilchen von den schweren Getreidekörnern trennte. Über eine Schütte fielen nach Gewicht sortiert die Getreidekörner zu Boden.

 

 

Lina und Philipp Kaiser beim Mähen mit der Sense (ca. 1920er Jahre)

 

Familie Schäfer beim Mähen mit einem pferdegezogenen Balkenmäher

 

Robert Höhn mit vollbeladenen Leiterwagen

In der Hauptstraße, damals Ortsstraße

 

Transport der sogenannten Windmaschine

 

Wenige, wie z.B. unser Opa Philipp Kaiser, droschen etwas Roggenstroh von Hand zu Heft-Stroh. So blieb der Halm länger und konnte zum Festbinden von Weinreben genutzt werden. Dieses Heftstroh tauschte er im Rheingau gegen Wein.

Das Roggenstroh war übrigens lange Zeit die gängige Dacheindeckung auf dem Lande.

 

Ein Teil des Getreides kam gereinigt zur Stifts- oder Kerbermühle, der Rest wurde geschrotet an die Tiere verfüttert. Die abgelieferte Kornmenge hielt der Müller fest. Der Bäcker wurde während des Jahres vom Müller mit Mehl beliefert, hierzu schrieb er dem jeweiligen Landwirt das Mehl unter Abzug  des Mahllohns gut. Der Bäcker hielt im Brotbuch des Landwirts die Menge an Mehl fest. Somit kam es zu einem bargeldlosen Warenverkehr. Beim Brotkauf schrieb der Bäcker die entsprechende Mehlmenge ab und der Landwirt musste lediglich einen Backlohn zahlen.

 

Im Spätsommer erfolgte die Obsternte. Das Obst der gemeindeeigenen Bäume konnte ersteigert werden. Der Ortsdiener Heinrich Diem gab dies durch Ausschellen bekannt. Obst und Gemüse mussten, wenn es nicht gleich verzehrt wurde, für die Winterzeit konserviert werden. Dies geschah durch Trocknen im Schatten, Dörren in der Sonne, Einsalzen, Einpökeln und Einsäuern in Essigwasser. Zum Einkochen benutzte man Einkochtöpfe mit einem Thermometer. Die Einmachgläser oder Blechgefäße wurden mit einem Gummiring und Deckel verschlossen. Durch die Hitzeeinwirkung entstand Dampfdruck und mit Abkühlen ein Vakuum im Einmachgefäß. Hefekeime starben bei einer kontrollierten Temperatur ab 70 Grad. Dieses kombinierte Verfahren sicherte eine lange Haltbarkeit bei einfacher

Anwendung.

 

Darüber hinaus mussten für heutige Verhältnisse große Mengen an Früchten zu Marmelade

verarbeitet werden. Dies geschah meist im Verbund mit Nachbarn und Verwandtschaft. Die Früchte rührte man unter ständigem Feuer in einem großen Kessel. Das Arbeiten mit diesem war sparsamer als viele kleine Feuer, außerdem verteilte sich die Last auf mehreren Schultern. Die fertige Marmelade füllte man in steinerne Töpfe und verschloss sie mit einer Cellophanhaut mittels Wurstkordel. Nach dem Erkalten dichtete diese das Gefäß ab.

Auch die geerntete Menge an Kohlköpfen war nicht zu unterschätzen - für eine Familie wurde cirka ein Leiterwagen Weißkohl geerntet! Gehobelt und mit Salz geschichtet gärte der Kohl in einem großen Holzfass. Nach Belieben gab man etwas Wacholder oder Kümmel hinzu. Der mit Steinen beschwerte Deckel verschloss das Fass. Damals waren das Sauer- und Rotkraut während der Winterzeit wichtige Vitamin C- Quellen. Neben dem Kohl gab es natürlich auch noch Kohlrabi, Karotten, Erbsen, Gurken und Bohnen sowie Rhabarber aus dem Garten. Diese Gärten waren aufgrund der baulichen Situation am Dorfrand; heute sind sie zusammenhängend, noch erkennbar an dem Müllerpfad.

 

Wichtig war die Apfelernte; sie brachte den beliebten Apfelsaft und - wein. Die gemeindeeigene Kelter stand im Gemeindehäuschen an der Kirche und presste aus den verkleinerten Äpfeln den Saft.

Mengenmäßig weniger aber auch sehr beliebt waren die Birnen, Pflaumen, Mirabellen und Kirschen. Frisch geerntet wurde mit diesen der Obstkuchen belegt. Strauchfrüchte wie Himbeeren, Brombeeren, Johannis- und Stachelbeeren konnten zu Saft, Kompott oder Gelee verarbeitet werden.

 

Ab 1738 wurde die Kartoffel im großen Stil in Preußen angebaut und entwickelte sich später als das Hauptnahrungsmittel in Deutschland. Im Herbst wurden die Kartoffeln mit einem Pflug oder Kartoffelroder ausgehoben und bereits auf dem Feld nach Speise-, Setz- und Futterkartoffeln in Körbe sortiert. In Jutesäcken abgefüllt fuhr man sie nach Hause in den Kartoffelkeller. Bei der Kartoffelernte wurde auf dem Feld stets Frühstücks- oder Mittagspause gemacht. Das gedörrte Kartoffelkraut wurde zu Haufen zusammengetragen und verbrannt. Im Feuer gegarte Kartoffeln waren eine Delikatesse.

Die Speisekartoffeln konnten z.B. nach Schlangenbad verkauft werden. Durch den dortigen  Kurbetrieb bestand immer Nachfrage an Nahrungsmitteln. Jedoch war öfters die Zahlungsmoral nicht die Beste. Oft hieß es dann: „Ei mer mache es im Sommer“, was heißen sollte, die Kartoffeln werden erst im Sommer bezahlt, wenn Geld durch die Kurgäste eingenommen war.

 

 

Kartoffelernte Familie Turn

 

Kartoffelernte Familie Kaiser mit Soldaten

 

Die Futterrübenernte war reine Handarbeit. Die Rübe wurde aus dem Boden gezogen, leicht geschüttelt und die Blätter abgeschnitten. Anschließend kamen sie in die sogenannte Rommelkaut, in der man sie über den Winter mit Stroh und Erde abdeckte. Die Blätter verfütterte man zeitnah, Reste wurden einfach untergeackert. Die zu verfütternden Rüben kamen von der  Rommelwäsche am damaligen Löschteich in der Schützenstraße oder der Walluf zum anschließenden Zerkleinern in die handbetriebene Rommelmühle im Stall.

 

Auf dem Land war man im Gegensatz zu heute im hohen Maße Selbstversorger. Im Herbst konnte mit dem Einsetzen der kalten Jahreszeit die Hausschlachtung durchgeführt werden. Hierbei wurde ein Schwein geschlachtet. Das töten erfolgte anfänglich mit einem Axthieb, später mit einem Schussapparat. - Hierzu eine Anekdote: Philipp Kaiser sollte das Schlachten erlernen. Jedoch klappte das Töten des Schweins nicht gut. Nachdem er zweimal nur ein Stück des Ohres mit der Axt abgeschlagen hatte, sah man von der Ausbildung ab. Nach dem Töten des Schweins wurde das Blut an der Halsschlagader ausgelassen, in einer Schüssel gefangen und für die spätere Blutwurst gerührt. In einer Holzmohle konnten die Borsten mit heißem Wasser abgeschabt werden. Aufgehängt an den Beinen erfolgte das Zerlegen. Der Fleischbeschauer hatte die inneren Organe auf Trichinen zu untersuchen. Die Därme reinigte man mit Salzwasser für die spätere Wurstabfüllung und zerlegte das Fleisch. Diese kochte im großen Wasserkessel zur späteren Wurstherstellung. Zur Haltbarmachung brühte man die Wurst im Kessel, hieraus entstand durch Fett und geplatzte Würste die „Worschtsupp“. Wurst und die beliebte Worschtsupp verteilte man im Ort. Durch Räuchern mit Buche- Sägemehl wurde der gesalzene Schinken in der Räucherkammer haltbar gemacht. Nach der getaner Arbeit bekamen der Metzger und seine Helfer zum Aufwärmen einen Schnaps. Am Abend folgte ein kleines Schlachtfest für Familie und Verwandten.

 

Mit dem Einsetzen des Schneefalls waren alle Arbeiten auf den Feldern beendet, vorbei die Hektik der Erntezeit, Zeit für liegengebliebene Aufgaben des Sommers. Kartoffel- und Fruchtsäcke waren zu flicken,  Rechen zu reparieren oder ein Gabelstiel einzumachen. Ganz abgesehen von den alltäglichen Flick - und Näharbeiten widmeten sich die Frauen der Handarbeit oder trafen sich in der Spinnstube. Trotz der vielen Arbeit hatten die Landwirte etwas wofür sie heutige Arbeiter beneiden. Sie arbeiteten zu Hause im Kreise der Familie, ein Vorgesetzter war ihnen unbekannt und die Entlohnung konnten sie beeinflussen.

 

Wer Vieh oder Hausrat kaufen wollte, besuchte im Herbst den Hochheimer Markt. Hier gab es alles, was des Herz begehrte. Man tauschte sich über neuste Erkenntnisse in der Viehhaltung aus oder bewunderte die landwirtschaftlichen Geräte und Maschinen.

 

Während des gesamten Jahres konnten Tiere gekauft oder verkauft werden. Viehhändler kamen nach Bärstadt, offerierten oder kauften Vieh. Montags kam stets der Viehhändler mit Ferkeln. Die gekauften Ferkel wurden nach dem angestrebten Gewicht gefüttert und anschließend wieder verkauft. Brauchte man Geld für eine Anschaffung oder war der Stall zu voll, bot man auch Tiere zum Verkauf an. Dies geschah durch Austausch im Ort oder Nachfrage eines Viehhändlers. Weniger groß - aber auch bekannt - war der jährliche Markt an der Kerb in der Nähe des heutigen Hausener Sportplatzes. Bei dem einfachen Leben auf dem Land gab es nicht, was nicht wiederverwendet werden konnte. Eine Müllabfuhr war deshalb unnötig, es gab nämlich nur zwei Arten der Entsorgung- entweder der Mist oder der Ofen…! Erst in den 40er Jahren entstand der Schuttplatz im ehemaligen Steinbruch am Friedhof. 

 

Förster Klinkert arbeitete von 1912 bis 1953 für die Gemeinde Bärstadt und Hausen. Für den preußischen Beamten zahlte der Staat ein Grundgehalt. Zusätzlich hatte die Gemeinde Bärstadt den sogenannten Beförsterungsbetrag zu zahlen. Für jedes Kind war außerdem ein Zuschlag zu entrichten. Mit der Festanstellung begann 1914 der Bau des Forsthauses am Wolfsborn. Bereits 3 Tage nach der Hochzeit im gleichen Jahr musste er in den Krieg einrücken. Mit Ende des 1. Weltkriegs kam er 1918 heil zur Familie zurück. Seine Dienstgänge im Wald erledigte er anfangs mit einem Fahrrad, ab 1930 mit einem qualmenden DKW, wie der Kerbespruch vermerkte. Für die Pflege des Waldes war er verantwortlich, die Hege des Wildes unterlag den damaligen Jagdpächtern Dr. Mohr/ Dr. Pfeiffer aus Schlangenbad bzw. Bad Schwalbach. Ersterer war durch die Herstellung der OMS- Gruben zu bescheidenem Reichtum gekommen. Wildschäden meldete man bei Förster Klinkert, dieser sorgte für die Regulierung durch den Jagdpächter.

 

Der Holzverkauf war für den Gemeindehaushalt eine ganz wichtige Einnahmequelle. Förster Klinkert hatte hierzu den Hauplan erstellt, aus dem hervorging, wo und für welchen Zweck das Holz zu schlagen war. Stammholz wie Fichte, Buche und Eiche wurde an Sägewerke und Holzhändler veräußert. Die Gemeinde entlohnte die Bauern für das Fällen und Schleifen der ca. 10-20 Meter langen Stämme aus dem Wald. Diese schwere und gefährliche Arbeit erledigten die Landwirte gemeinsam. Einmal am Tag trafen sich die Bauern beim Post- Philipp (Philipp Kaiser) in der Küche und beratschlagten das Vorgehen am nächsten Tag. Mit 6 Pferden und einem Wagen brach man in den Wald auf. Dabei war auch das Essen für den Tag, denn die Arbeit dauerte lange. Oft kam man erst bei Einbruch der Dunkelheit nach Hause. Im Wald wurde mit der Axt die Fällrichtung vorgeben. Die sogenannte Drummsäge brachte den Baum endgültig zu Fall. Laut krachend stürzte der Baum in die vorgegebene Richtung. Noch im Wald schälte man die Fichten- und Lärchenstämme und zog sie je nach Durchmesser mit 2-3 Pferden an den nächsten befestigten Weg. Hier holte sie der Käufer mit dem LKW ab. Das Kronenholz der Laubbäume schnitt man mit der Bügelsäge zu ein Meter langen Stücken. Am Waldrand saßen die einen Raummeter großen Brennholz-Stapel bis zur Versteigerung im Frühjahr. Der Höchstbietende transportierte das Holz nach Hause, spaltete es und ließ es weiter trocknen. Im Spätherbst/ Winter schnitt man es in handliche Stücke und lagerte es im Holzstall oder Rundlagern. Das weniger hochwertige Holz wurde z.B. Industrie- oder Faserholz zur Papierherstellung. An einem vom Förster festgelegten Tag (vor dem Wintereinbruch) kamen die Leute im Wald zusammen, die Leseholz zum Festpreis gekauft hatten. Gemeinsam sägte und hackte man dieses Schwachholz und fuhr es nach Hause. Neuanplanzungen im Wald waren Aufgaben der Frauen im Ort. An der „Hauser Baumschule“ säte man angehende Nadelbäume, um damit Waldflächen aufzuforsten. Durch das Ausschellen im Ort erfuhr jeder Haushalt, dass jeweils eine Frau pro Haushalt hierbei helfen musste. Für diese Arbeiten gab es als geldfreie Entlohnung sogenanntes Deputatholz (Brennholz). Nach dem zweiten Weltkrieg war zunächst das Tragen von Waffen untersagt. Die notwendige Jagd mit Gewehr erfolgte deshalb durch amerikanische Offiziere im Beisein von Förster Klinkert. Neben seinem Beruf hatte der dreifache Familienvater als Zubrot 45 Bienenvölker, hin und wieder bildete er einen Jagdhund aus.

 

 

 

 

Ehemaliges Forsthaus am Wolfsborn

 

Förster Klinkert mit amerikanischen Soldaten und Treibern nach erfolgreicher Jagd 

 

Tages- und Wochenablauf

 

Der Tagesablauf war immer recht gleich. Mit dem Weckruf der Gickel kam nach und nach Leben ins Dorf. Zunächst melkte und füttern man die Tiere. Die von Hand gemolkene Milch lief in emaillierte Eimer. Diese und die Milch des Vorabends kamen in der nummerierten Milchkanne auf die Milchbank. Von hier erfolgte die Abholung für die Molkerei Berz in Bad Schwalbach. Im Winter fror bei strengen Temperaturen die Milch ein, im Sommer wurde sie manchmal sauer. Deshalb lagerten bei warmen Temperaturen die Milchkannen bis zur Abholung im kalten Wasser der Wassertröge und Brunnen. Nach den morgendlichen Arbeiten gab es ein erstes Frühstück in der Küche. Diese war stets durch den Herdofen beheizt und der zentrale Anlaufpunkt der Familie. (- Das Wohnzimmer, die sogenannte „gud Stubb“, wurde nur für besondere Anlässe genutzt - überwiegend sonntags und für Feiern-) Danach spannte der Landwirt Pferd oder Kühe an und ging aufs Feld. Mit dabei war eine Blechkanne mit Kaffee und etwas Brot für ein zweites Frühstück. Zuhause verarbeiteten die Frauen die restliche Milch zu Butter, Käse oder Quark. Sparsamkeit, die Fähigkeit einteilen zu können und Fleiß waren schon immer die herausragenden Qualitäten einer Bauersfrau. Ob Frühjahr, Sommer, Herbst oder Winter - einer Bauersfrau ging die Arbeit nie aus. Freizeit stand nur selten zur Verfügung. Um ihre Familie "übers Jahr zu bringen" musste die Bäuerin sich an der Seite ihres Mannes auf dem Feld abplagen und auch im Haushalt eine wahre Künstlerin sein - alle Nahrungsmittel kamen aus eigener Herstellung!

Um 11 Uhr signalisierten die Glocken der Kirchturmuhr dem Bauern, dass er sein Vieh ausspannen musste, um zum Mittagessen um 12 Uhr Zuhause zu sein. Auf dem Weg dorthin wurden das Pferd oder die Kühe an eine der Viehtränken geführt und anschließend im Stall gefüttert. Nach dem warmen Mittagsessen ging es zurück aufs Feld. Man tauschte sich auf den Weg mit einem Nachbarn aus oder musste auch mal ein Hufeisen vom Schmidt- Josef erneuern lassen. Während der Bauer zur Feldarbeit mit Kuh oder Pferd hinausfuhr, erledigte die Bäuerin die tägliche Haus- und Gartenarbeit.

Alle vier Wochen war großer Waschtag, eine gewaltige Arbeit. Die Wäsche wurde sortiert, in einem Bottich eingeweicht und danach in einen befeuerten Kessel gekocht. Eventuell verbliebene Verunreinigungen wurden anschließend auf dem Rubbelbrett entfernt. Winters wurde sie in einem weiteren Kesselbad mit Sil gebleicht, im Sommer bleichte die ausgelegte Wäsche unter Bewässern in der Sonne. Die Buntwäsche reinigte die Frauen stets während der Woche.

 

Bild rechts: Marie Hofmann beim Wäscheaufhängen

 

 

Wer telefonieren wollte, ging zum „Post-Philipp“ in die Hauptstraße 2. Dort hing im Flur ein Telefon. Unter der Nummer „Schlangenbad 276“ konnte man auch angerufen werden. Das „Fräulein von Amt“ stellte die Verbindung her. Die Post trug „Rechnerch- Lina“ (Lina Kaiser) tagsüber aus. Nach 1930 wechselte die Poststelle zu Jakob Besier, Josef Grebert, Johanna Besier und zuletzt an Wilma Besier.

Bärstadt besaß auch zwei Banken. Die Raiffeisenbank im Schlangenbader Weg wurde von Heinrich Besier geleitet. Hauptsächlich diente diese den Spar- und Darlehensgeschäften im landwirtschaftlichen Bereich. Eine Nebenstelle der Nassauischen Sparkasse führte Philipp Kaiser bis ins Jahr 1957. Da es keine festen Geschäftszeiten gab, klopfte man einfach an der Tür und fand Einlass.

 

Am Samstagnachmittag wurde der Hof in Ordnung gebracht und die „Straß“ gekehrt - hierbei läuteten die Glocken das Wochenende ein. Das Geschirr des Pferdes oder der Kuh reinigte man und hängte es für die neue Woche auf.

Samstagabend war Badetag. Auf dem Herd wurde Wasser erhitzt und in einer Zinkwanne eingelassen. Hier wusch sich nacheinander die ganze Familie. Zunächst kamen die Kinder in die Wanne - die anschließend ins Bett mussten -, dann mit neuem Wasser die Erwachsenen.

 

Die Arbeitswoche hatte 6 Arbeitstage und lediglich den Sonntag als Ruhetag. Mindestens ein Familiemitglied besuchte Sonntagsmorgens die Kirche, dies war ungeschriebenes Gesetz. Auf dem sogenannten „Kuhhandel“, der Empore in der Kirche konnte man sich vor dem Gottesdienst leise mit den Nachbarn über Alltägliches austauschen. Nachmittags machte man Besuche oder bekam welchen. Frische Kräfte wurden gesammelt für die kommende Arbeitswoche. Man trug sonntags den guten Anzug und wechselte nur zum Füttern und Melken die Kleidung. Die Familie hatte keine Unmengen an Kleidung wie heute. In der Regel beschränkte es sich auf einen großen Schrank im Elternschlafzimmer und die Aussteuertruhe. Hier musste ziemlich alles Platz finden. Es gab Arbeitskleidung für die Woche und einen guten Anzug für sonntags und besondere Anlässe. Neben dem großen Ehebett standen die Nachtschränkchen mit dem emaillierten oder glasierten Pisspott, falls man nachts nicht mehr raus aufs „Abe-Häusche“ konnte oder wollte. Treffend dazu sagte eine Bärstadterin: Ich weis gar nicht, woher wir das Klopapier genommen haben, früher hatte doch kaum einer eine Zeitung...!

Die Frauen besaßen noch eine Waschkommode mit Spiegel, Wasserkrug und Waschschüssel, welche zur Hygiene diente. In dieser Kommode fanden aber auch Bettwäsche, Tischtücher, Unterwäsche und Strümpfe Platz. Zum Wärmen gab es bestenfalls einen kleinen Beistellofen im Schlafzimmer, ansonsten musste eine kupferne oder verzinkte Wärmflasche herhalten.

 

Das Dorf verfügte über die verschiedensten Handwerker und Läden: Schmiede, Küfer und Schreiner, Schuster, eine Schneiderin, einen Friseur, mehrere Gastwirtschaften, eine Gastwirtschaft mit Metzgerei, Lebensmittelgeschäfte, Bäckereien, Spar- und Raiffeisenkasse sowie eine Post.

 

Bild rechts: Philipp Thurn (Küfer) mit Familie

 

 

Die Bezahlung erfolgte oft erst zum Jahresende, wenn durch den Verkauf von Feldfrüchten oder Vieh etwas auf die Seite gelegt werden konnte. Das „Anschreiben“ lassen während des Jahres war üblich. Für größere Anschaffungen ging oder fuhr man in die Stadt. So gab es in Bad Schwalbach oder Wiesbaden alles, was man nicht selbst erzeugen oder herstellen konnte. Bärstadt war durch seine Lage und Verkehrsanbindung eher mit Bad Schwalbach verbunden, ganz im Gegensatz zu Hausen. Hier wurde mehr Handel mit dem Rheingau, speziell Eltville betrieben. Wenige wie der Bäcker, der Förster, der „Sanne Heine“ und später der Pfarrer besaßen ein Fahrzeug.  Ebenso wenige hatten ein Radio; hier musste die „Mund zu  Mund Propaganda“ herhalten.

      

 

 

Wie erwähnt gab es eine imaginäre Dorfgrenze – das Unter- und Oberdorf. Nach getaner Arbeit traf man sich zu einem Plausch an einer der Milchbänke. Hier tauschte man die Neuigkeiten und Ereignisse des Tages aus. Bänke befand sich am Haus Hauptstraße 5 und an der Linde.  Etwas spöttisch hießen diese im Unterdorf Landtag und im Oberdorf Kreistag, da dort viel debattiert wurde.

 

Bärstadt besaß ab Ende der 30er Jahre einen Busanschluss nach Wiesbaden. Der Bus stand zunächst über Nacht an der Linde. Nachdem er im Winter aber immer mal einfror, entstand die Forderung nach einer Bushalle. Provisorisch fand er Unterschlupf in der Scheune von Heusers in der Hauptstraße 1. Mit gemeindeeigenem Holz und tatkräftiger Hilfe der Busnutzer entstand 1947 eine Bushalle am höhergelegenen Wolfsborn. Hier konnte der Bus auch mal anrollen, wenn er nicht ansprang. Der aus Dotzheim stammende Busfahrer Pohl war ein recht leutseliger

 

Mensch und beliebt bei Alt und Jung. Kein Fest in den umliegenden Orten wurde ausgelassen. Hierzu eine kleine Anekdote: Nach einer längeren Feier in Bärstadt verspätete er sich am Morgen, da er noch sein Gebiss finden musste. Zuhause hatte er ein paar Hasen; wenn ihm die Kinder etwas Hasenfutter mitbrachten, gab es eine extra Busfahrt im Dorf. Der Bus startete um 5 Uhr und brachte die Pendler nach Wiesbaden, zurück gings um 19 Uhr. Blieb er durch Schneeglätte liegen, wurde er von den Fahrgäste angeschoben. Der Pendlerverkehr diente auch zum Transport allerlei Materialien. Helmut Steinheimer konnte sich gut erinnern: „Ich hatte als Installateur mal ein paar lange Eisenrohre zu transportieren- kein Problem für den Busfahrer, alles fand Platz auf dem Dach“.

 

Bei der dörflichen Abgeschiedenheit, dem noch nicht ausgebauten Systems des Versicherungswesens und bei dem Aufeinanderangewiesensein in vielen landwirtschaftlichen Belangen war Nachbarschaftshilfe erforderlich. Das Zusammengehörigkeitsgefühl der Verwandten, die sich gegenseitig besuchten und Feste gemeinsam feierten war ebenfalls unabdingbar. Das enge Zusammenleben, der regelmäßige Umgang miteinander und das gemeinsame Feiern führten dazu, dass man sich gegenseitig sehr genau kannte. Kaum etwas blieb der Allgemeinheit verborgen. Vereine spielten im gesellschaftlichen Leben eines Dorfes und für die Freizeitgestaltung der Bewohner eine wichtige Rolle. Man fand sich beim Gesang- und Turnverein oder der Feuerwehr wieder. Die Männer dominierten in dieser Gesellschaft, lediglich der Gesangverein und die evangelische Frauenhilfe bot den Frauen eine Abwechslung. Gegenüber der Vorkriegszeit entwickelte sich diese Seite des dörflichen Lebens nach dem Kriege rückläufig. Die Gründe hierfür lagen unter anderem in dem veränderten Freizeitverhalten und in der Unlust, feste Bindungen einzugehen und Verpflichtungen auf sich zu nehmen. Die Gastwirtschaften des Ortes boten eine weitere Abwechslung und Ablenkung. Denkt man heute an ein Gasthaus, verbindet man es gleich mit einem Bierausschank. In den Zwischenkriegsjahren war jedoch der Wein oder Schnapsgenuss nicht zu unterschätzen. Erwin Höhn berichtet, oft haben sich die Männer einen Schnaps und ein Glas Wasser oder eben einen Schoppen Wein bestellt, wobei der Schnaps das Günstigere war. Der Saalanbau bei „Klauersch“, das Turnerheim (Gasthof zur Sonne), bot in den Wintertagen die Möglichkeit, ein Theaterstück aufzuführen. Diese waren äußerst beliebt bei Jung und Alt und selbst aus den Nachbarorten kamen Besucher. Manchmal wurde sogar ein Theaterstück mehrfach gespielt. Die Kinder spielten, wenn es dazu Zeit gab, auf der Straße; ein Kinderspielplatz war unbekannt.

 

Zur Verbesserung der medizinischen und fürsorgerischen Bedingungen wurde 1922 auf Betreiben der Kirche und mit Unterstützung der Gemeinde eine Gemeindeschwester beschäftigt. Keine leichte Aufgabe, tagein, tagaus, klopfte es an der Tür, während der Woche waren älterer Bürger zu betreuen, Wunden zu versorgen oder eine Geburt bahnte sich an. Selbst nach dem Tod half die Gemeindeschwester bei der Totenwäsche und Einkleidung, was durchaus nicht üblich ist. Mit der Anstellung versuchte Bärstadt wohl einen permanenten Missstand ab zu helfen - trotz hoher Einwohnerzahl (1930 = 402 Personen) fehlte es an einer Hebamme und einem Arzt im Ort . Zunächst war die Gemeindeschwester (Julia?) und ab 1944 ihre Nachfolgerin Frau Reichow in privaten Zimmern bei Bärstadter Bürgern untergebracht. Später zog Frau Reichow mit Ihrer Tochter in eine neue Wohnung in der Schulstraße. Frau Annemarie Reichow- in Bärstadt nur Schwester Reichow genannt- arbeitete 30 Jahre für die Bärstadter Bürger. Die Entlohnung der Gemeinde war sehr gering, regelmäßig gab es deshalb zusätzlich Naturalien oder ein kleines Handgeld der Familien. Dieser Umstand  änderte sich erst 1972 mit der Eingemeindung und mit einem tariflich geregelten Gehalt, was natürlich für einen ausreichenden Rentenbezug zu spät kam. Altersbedingt wurde Frau Reichow 1975 von Frau Irmtraud Treutler abgelöst. Aufgrund ihrer fleißigen und freundlichen Art waren beide sehr beliebt. Zu jeder Tag- und Nachtzeit wurde diese in Anspruch genommen. Durch eine fehlende Vertretung mussten beide auch sehr lange auf Urlaub verzichten. Die Schwesternstation überdauerte die Eingemeindung, fiel aber in 1993 den Sparzwängen der Gemeinde Schlangenbad zum Opfer. Die gemeindliche Verpflichtung zur Gesundheitsfürsorge wurde dann an die Diakonie Bad Schwalbach übertragen.

 

 

 

Schwester Reichow (rechts) am Kemeler Weg mit 3 Bärstadterinnen

 

 

Einen ähnlichen Ansatz zur Verbesserung  der Situation, speziell der Frauen im Ort war die Gründung der Frauenhilfe. Diese wurde 1927 von Pfarrer Knodt als Vaterländischer Frauenverein gegründet. Der Kerngedanke war die wechselseitige Unterstützung der Frauen bei familiären Notsituationen. Nach dem Krieg wurde dieser Kreis als Frauenhilfe bis heute weitergeführt, wobei diese heute dem geselligen Austausch dient. Der Gesellschaftswandel hatte das damalige Ziel, die tatkräftige Unterstützung der Frauen und ihrer Familien entbehrlich gemacht, da die sozialen Sicherungssysteme der Nachkriegszeit griffen und die Mobilität ihr übriges tat.

 

 

 

Das politische Leben im Ort

 

Nach dem ersten Weltkrieg folgten die schweren Jahre der Weimarer Republik. Die Entstehung der Weimarer Republik ist durch die unmittelbaren Nachwirkungen des Ersten Weltkriegs geprägt, ihr Untergang verbunden mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus. Der Einfluss der Nationalsozialisten auf die Bevölkerung war je nach Personen- oder Berufsgruppen und Region bzw. Religion unterschiedlich ausgeprägt. Tendenziell waren die Wähler der NSDAP bei den Protestanten und den in der Landwirtschaft Beschäftigten zu finden. Außerdem gewannen sie Stimmen bei steigenden Arbeitslosenquoten und sinkender Wahlbeteiligung bei den letzten vier Reichstagswahlen.

 

Die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse der Städte waren nicht gleich zu setzen mit den Verhältnissen auf dem Land. Häufig waren dort die Mitglieder des Gemeinderats parteilos. Die Geschicke Bärstadts wurde bis 1933 durch den Gemeinderat gelenkt.  Das Dorf wählte hierzu die 9 Gemeindevertreter in den Gemeinderat, die den Wahlvorschlag für die Bürgermeisterkandidaten ab gaben. Der Gemeinderat wählte den Bürgermeister und beschloss innerhalb des Aufgabenkreises der Gemeinde Angelegenheiten, die nicht laufend anfallen und grundlegende Bedeutung haben oder erhebliche Verpflichtungen für die Gemeinde erwarten lassen. Der Bürgermeister führt die Beschlüsse des Gemeinderats aus, vertritt die Gemeinde nach außen, erlässt dringende Anordnungen, erledigt unaufschiebbarer Geschäfte und die laufende Geschäftsführung der Ortsverwaltung. Zur Seite standen dem Bürgermeister, der Ortsdiener, der Gemeinderechner, der Standesbeamte und ggf. auch der Förster. Die öffentliche Bekanntmachung behördlicher und gemeindlicher Anordnungen im Dorf war die Aufgabe des Polizeidieners, auch Ortsdiener genannt. Dabei blieb er bei seinen Rundgängen durch das Dorf in bestimmten Abständen stehen und verschaffte sich mit dem Läuten der Ortschelle Gehör. Ein Polizeidiener hatte sein Amt mitunter viele Jahrzehnte inne.

 

Die Wahl des Bürgersmeisters, die Anzahl der Gemeindevertreter, der Wahlberechtigten bzw. ob die Wahl durch Direktwahl der Bürger oder über die Gemeindevertreter erfolgt, sowie der Turnus wird bestimmt durch die Gemeindeordnung bestimmt. Bärstadt lag 1919  im Volksstaat Hessen, ab 1933 im Gau Hessen-Nassau. In dem von uns beschriebenen Zeitraum änderte sich die Gemeindeordnung mehrmals, hatte jedoch bis 1935 mit gewissen Veränderungen Bestand. Durch die neue Deutsche Gemeindeordnung (DGO) von 1935 wurde das "Führerprinzip" gesetzlich verankert. Der Bürgermeister musste Parteimann sein und leitete nun die Verwaltung in ausschließlicher Verantwortung. Der (von der NS-Partei berufene) Gemeinderat hatte lediglich die Aufgabe, den Bürgermeister zu beraten.

 

Bei der Bürgermeister- und Gemeinderatswahlen spielten natürlich persönliche Beziehungen, Feindschaften und verwandtschaftliche Bindungen eine wichtige Rolle. Hierzu ein Beispiel: Konrad Kaiser war von 1918-1929 Bürgermeister in Bärstadt. In dieser Funktion zeigte er den Diebstahl von eisernen Grabkreuzen vom Kirchhof an. Der Angezeigte wohnte in Nähe des Friedhofs und hatte die Grabkreuze an einen Alteisenhändler veräußert, deshalb wurde er für kurze Zeit inhaftiert. Der Abgestrafte war hierüber natürlich verärgert. Bei der Neuwahl des Bürgermeisters beeinflusste er die Gemeindevertreter so: Als einer der  wenigen im Ort, hatte er die Brennrechte für Schnaps. Als nun Gemeindevertreter Schnaps bei ihm kauften erinnerte er daran, dass der Gegenkandidat viel vorteilhafter sei. Die Wahl entschied dann Adolf Karl Häuser für sich. Dieser wurde jedoch bereits 1933 durch Johann Friedrich Besier abgelöst. Nach dem Einmarsch der Amerikaner wurden alle politisch belasteten Bürgermeister abgesetzt. Nun kam wieder Adolf Karl Häuser an die Macht, der das Amt bis 1956 bekleidete. 

 

Ortsgruppenleiter war bis 1945 Jakob Besier (Beckersch Jakob). Ortsgruppenleiter wurde in der Zeit des Nationalsozialismus der Vorsitzende einer Ortsgruppe der NSDAP genannt.

Seine parteirechtliche Funktion entsprach eigentlich derjenigen des Vorsitzenden einer heutigen Parteigliederung auf der Ebene einer Kommune; faktisch kontrollierte jedoch der jeweilige Ortsgruppenleiter sogar den Bürgermeister oder Oberbürgermeister und durfte sich ihm gegenüber unter Missachtung von Recht und Gesetz Weisungsbefugnisse anmaßen. Dabei waren die Zuständigkeiten zwischen der staatlichen Organisation und der Parteigliederung keineswegs klar abgegrenzt. Die Funktionsträger – einerseits der Bürgermeister und andererseits der Ortsgruppenleiter – verfolgten häufig unterschiedliche Ziele und agierten teils miteinander, teils gegeneinander. Jakob Besier wurde unisono von den Befragten als eifriger und verblendeter Parteifunktionär beschrieben. Hierzu eine Schilderung: „Wer nicht schon von weitem deutlich die Hand hob und mit „Heil Hitler“ grüßte, wurde angeschnauzt und zurecht gewiesen“, eine Backpfeife wurde auch schon mal ausgeteilt. Als Postbeamter in Schlangenbad war er sicherlich über die überregionalen Ereignisse besser informiert als die dörfliche Bevölkerung. Als Beamten wurde im sicher der Parteieintritt nahegelegt, Kollegen die dies nicht taten hatten berufliche Nachteile zu fürchten. Seine Einstellung zur Partei änderte sich erst als sein Sohn in einer Strafkompanie starb. Wer gesellschaftlich oder beruflich aufsteigen wollte musste in der Partei sein.

 

Welchen Einfluss nahm die Politik auf das sonstige Leben?

Wie bereits beschrieben war seit dem 1. Dezember 1936 die Mitgliedschaft in der Hitler-Jugend Pflicht. Das hieß, dass ab dieser Zeit die Mitgliedschaft für alle 10- bis 18- jährigen obligatorisch war; alle wurden in der Hitler-Jugend erfasst. Auch in Bärstadt gab es einen BDM (Bund deutscher Mädel) und die HJ (Hitler Jugend), außerdem die JM (Jungmädel) das DJ (Deutsches Jungvolk). Ab Juni 1935 musste jeder junge Mann eine sechsmonatige, dem Wehrdienst vorgelagerte Arbeitspflicht, ableisten. Die Aufgaben im sogenannten Reichsarbeitsdienst waren sehr vielfältig. Sie befassten sich vor dem Krieg vor allem mit Forst- und Kultivierungs- sowie Straßenbau- oder Entwässerungsaufgaben und Tätigkeiten in der Landwirtschaft. Ab 1938 mussten die Frauen unter 25 ein Pflichtjahr in der Land- und Hauswirtschaft ableisten. Dadurch sollte u. a. die fehlende Arbeitskraft der sich im Krieg befindlichen Männer, kompensiert werden. Ausgenommen waren Frauen mit Kindern und Frauen, die ohnehin in diesen Bereichen arbeiteten. Ohne den Nachweis über das abgeleistete Pflichtjahr konnte keine Lehre oder anderweitige Ausbildung begonnen werden.

Zum Erntedankfest schmückten die Konfirmanden den Altar in der Kirche mit Feldfrüchten, welches nach der Machtergreifung Hitlers besonders gefeiert wurde. Hierzu  gab es im Dorf einen Umzug, ein Leiterwagen war mit einem strohgeflochtenem Hakenkreuz bestückt und die Häuser mit Hakenkreuz-Fähnchen geschmückt. Es wurde immer wieder gesammelt, wie zum Beispiel für das Winterhilfswerk. Bärstadt blieb im politischen Sinne etwas verhaltener, nur so ist es zu erklären, das Hitler nach erst nach der Machtergreifung 1933 zum Ehrenbürger erklärt wurde. Der Nachbarort Hausen erklärte Hitler bereits 1932 zum Ehrenbürger. Was ihnen möglicherweise auch nachträglich den Schimpfnamen „Hitlerschhausen“ einbrachte. Unterschlagen darf man aber auch nicht, das die Bärstadter immer wieder als „Plänemächer“ (Planmacher) verschrien wurden. Mutmaßlich, weil man viele Pläne und Ideen hatte, sie aber nicht umsetzte.

Generell war die Kirche den Nazis ein Dorn im Auge. Eine Bärstadterin erinnert sich: „Als eines Tages die Kirchgänger am benachbarten Gemeindehäuschen vorbei kamen, sahsen dort ein paar Schlangenbader Nazis und grölten Nazilieder“. Für die NSDAP gab es im Untertaunus eine breite Zustimmung, dies belegt z.B. das Ergebnis der Reichstagswahl vom 05.03.1933. Hier errang die NSDAP rund 13.000 Stimmen von 21.000 abgegebenen Stimmen, bei einer Wahlbeteiligung von 89 %. Die SPD erhielt als zweitstärkste Partei ca. 3000 Stimmen. Zu Übergriffen an Juden konnte es in Bärstadt nicht kommen dar zu diesem Zeitpunkt keine in Bärstadt gab. Natürlich wurden auch Wahlkampfveranstaltungen in einer der Wirtshäuser abgehalten zu Saalschlachten oder andern Exessen kam es aber nicht. Die jungen Leser erwarten an dieser Stelle vielleicht eine etwas konkretere Darstellung der Ereignisse. Aufgrund unserer gesammelten Informationen muss man aber zum Schluss kommen, dass Politik nur einen untergeordneten Stellenwert im Leben der Bärstadter gespielt hat. Viele Bärstadter waren in der NSDAP, nach dem Krieg war das aber kein Thema mehr, wer wollte dem anderen etwas vorhalten, der eine war in der Reiter-SA, der andere in der NSKK und wieder ein anderer in der SS. Die anstehenden Probleme der Nachkriegszeit waren einfach wichtiger als gegenseitige Vorhaltungen und Erinnerungen an eine nicht eingetretene Hoffnung. Es musste eine neue demokratische Ordnung errichtet werden. Bereits am 20. Januar 1946 fand die erste Kommunalwahl statt und Hans Wagner wurde als Landrat gewählt. Im September 1947 kommen die Kirchturmglocken wieder zurück, allmählich kehrt das Dorf wieder zum Alltagsgeschehen zurück. Auf gut hessisch würde man sagen. „Es Lebbe geht weider“. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Schaffung des heutigen Bundeslandes Hessen im Jahr 1945 wurden der Bürgermeister und die nunmehr zwei Beigeordneten nicht mehr von der Bevölkerung direkt gewählt, sondern von der Gemeindevertretung ernannt. Karl Heusser bleibt bis 1956 Bürgermeister.

 

Am 20. Juni 1948 kommt die Währungsreform und löst die Lebensmittel und Bezugsscheine ab. Jede Person  erhielt in zwei Schritten ein „Kopfgeld“ von 40,- DM und einen Monat später 20,- DM bar ausgezahlt. Verbindlichkeiten wurden mit einem Kurs 10 Reichsmark zu 1 DM (10:1) umgestellt; Löhne und Mieten im Kurs 1:1; Bargeld und letztlich auch Sparguthaben wurden zum Kurs 100 RM zu 6,50 DM umgetauscht. Die Zeit des Schrottelns und Tauschens ist vorbei.